"Sucht man nach der passenden Kleidung, kommt man nicht umhin, sich mit sich selbst als Mensch zu befassen", sagt Katharina Starlay. Die Modedesignerin hält Vorträge, gibt Seminare und coacht rund um Kleiderstil und Businessknigge. Seit 2002 berät sie Unternehmen für ihren Außenauftritt und entwickelt Firmenkleidung.

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In einer Studie erforschten US-amerikanische Wissenschafter das Phänomen, dass nonkonformistische Vortragende in Sneakers unter Umständen als kompetenter eingeschätzt werden.

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Daimler-CEO Dieter Zetsche bei der Weltpremiere des Smart ForTwo in Berlin. "Herr Zetsche kann sich jetzt viel stärker selbst verwirklichen als zu der Zeit, in der er noch auf der Karriereleiter stand. Er ist ja selbst jahrelang einem Dresscode gefolgt, um da hinzukommen, wo er jetzt ist", sagt Imageberaterin Starlay.

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STANDARD: Es heißt: "Kleider machen Leute". Wie viel tragen sie tatsächlich zum Erfolg im Job bei?

Starlay: 50 Prozent des ersten Eindrucks sind rein optisch. Trifft man jemanden zum ersten Mal, nimmt man zuallererst wahr, wie er sich bewegt, wie er spricht – und was er trägt. Diese Bilder sind sehr mächtig. Gute Kleidung ist aber nicht unbedingt formell und antiquiert – wir sind nicht mehr in den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren, wo der Anzug das Nonplusultra der Eleganz war. Trotzdem ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie man als Sender den Empfänger erreicht.

STANDARD: Analog zum Sender-Empfänger-Modell aus den Kommunikationswissenschaften?

Starlay: Ja. Kleidung ist eine Sprache. Entweder sie kommt an oder eben nicht. Darum sollte man sich überlegen: Wie tickt mein Gegenüber? Auf welche Signale reagiert er? Was braucht er für Symbole, damit er mir zuhört und mir zugeneigt ist?

STANDARD: Nun hat man ja im Berufsalltag immer mehrere potenzielle Empfänger – den Chef, Kollegen, Kunden. An wen soll man adressieren?

Starlay: Das kommt auf die Aufgabe an. Wenn man im Vertrieb arbeitet, ist der Kunde die höchste Priorität. Der Chef sollte es akzeptieren, dass man sich für die Kunden kleidet. Es macht natürlich auch Sinn, ähnliche Termine an einen Tag zu legen: An einem besucht man Kunden, vor denen man in Anzug und Krawatte erscheinen muss. An einem anderen dann vielleicht solche, die legerer unterwegs sind. Da macht man "downdressing", damit keine Distanz entsteht.

Richtig bei anderen anzukommen ist ein Grund, über sein Outfit nachzudenken. Der zweite ist, dass Kleidung auch viel mit einem selbst tut. Sie trägt etwa zur Selbstsicherheit bei. Frauen könnten diesbezüglich einiges von Männern lernen und umkehrt. Frauen machen sich oft das Leben schwer, indem sie bei ihrer Kleidung nicht genug auf Bequemlichkeit achten. Die braucht es aber, um sich wohlzufühlen und stark auftreten zu können. Kleidung ist also die wichtigste Nebensache im zwischenmenschlichen Kontakt. Man muss sich darum kümmern, damit man sie anschließend vergessen kann.

STANDARD: Und was können Männer von Frauen lernen?

Starlay: Sie können lernen, dass es noch mehr Kleidungsstücke gibt als einen Anzug und Jeans. Viele Männer verstecken sich heute in ihrer Kleidung hinter monotonen Schnitten und Farben. Damit ihr Outfit spannender wird, könnten sie Kombinationen, Stoffe und Farben stärker variieren. Bereits ein anders geschnittener Anzug macht einen Unterschied, Stiefeletten dazu, ein längeres Sakko – da gibt es viele Möglichkeiten. Jeans sind nicht die einzige Alternative.

STANDARD: Ändert sich in puncto erlaubte Lässigkeit nicht gerade einiges? Selbst Chefs großer Konzerne lassen sich mittlerweile ohne Krawatte fotografieren. Ein Beispiel ist Dieter Zetsche, Vorstand von Daimler.

Starlay: Ich nenne diesen Trend "Casualisierung". Wichtig ist immer, zu unterscheiden: Taugt der Look einer Führungskraft eines großen Unternehmens, das international agiert, tatsächlich zur Nachahmung? Was sich ein Chef erlaubt, kann sich nicht jeder erlauben. Herr Zetsche hat sich das auch erst erarbeiten müssen.

STANDARD: Und sich die Jeans sozusagen verdient?

Starlay: Man sollte sich schon immer darüber bewusst werden, wie das, was man trägt, wirkt. Herr Zetsche kann sich jetzt viel stärker selbst verwirklichen als zu der Zeit, in der er noch auf der Karriereleiter stand. Er ist ja selbst jahrelang einem Dresscode gefolgt, um da hinzukommen, wo er jetzt ist.

STANDARD: Studien lassen jedoch vermuten, dass man gerade mit Nonkonformismus punkten kann. Beispielsweise fanden US-amerikanische Wissenschafter heraus, dass einem Vortragenden in roten Sneakers ein höherer Status und höhere Kompetenz zugesprochen wurde als einem, der sich gemäß Businessnormen kleidete. Die Forscher nennen das den Red-Sneakers-Effekt.

Starlay: Hingucker können funktionieren – wenn sie gut gemacht sind. Nicht aber, wenn ein Kleidungsstück nur benutzt wird, um einen Effekt zu erzielen, aber weder zum Vortragsthema noch zur Persönlichkeit passt. Sucht man nach der passenden Kleidung, kommt man nicht umhin, sich mit sich selbst als Mensch zu befassen. Ein roter Sneaker ist natürlich ein wirksames Symbol, die Frage ist nur: Ist es das, das ich auch setzen möchte? Dient es meiner Absicht? Und passt es zu mir?

STANDARD: Welcher Teil des Outfits ist am wichtigsten?

Starlay: Am wichtigsten ist die Passform. Egal, welche Kleidung man trägt, sie muss sitzen, um positiv zu wirken. Ein Zaubermittel sind auch die Schuhe, sie verändern die Haltung. Frauen können sie zu besserer Bodenhaftung und damit mehr Souveränität im Auftreten verhelfen.

STANDARD: Kann man sich auch günstig gut kleiden? Und wenn, wie?

Starlay: Wer seine Linie und seine Farben kennt, weiß, was ihn gut aussehen lässt, der kann sich gut kleiden – ganz unabhängig vom Preis. Was sich immer bezahlt macht, ist, auf Details zu achten. Viele Jacken haben etwa billige Knöpfe. Wenn man die Knöpfe austauscht und hochwertigere verwendet, wirkt die Jacke gleich ganz anders.

STANDARD: Google entwickelt gerade gemeinsam mit dem digitalen Fashion-Label von H&M, Ivyrevel, einen digitalen Modeberater. Er sucht einem über eine App das perfekte Outfit aus. Haben solche Berater Zukunft?

Starlay: Es kommt sehr darauf an, wie die entwickelt werden und welche Fragen da gestellt werden. In der Regel fragen Telefon- oder Onlineberater nur die Vergangenheit ab: Welche Farben hast du immer gerne getragen? Welche Marken? Eine gute Beratung würde aber Fragen nach der Gesichtsform, den Gesichtszügen und den zu Haut-, Haar- und Augenfarbe passenden Farben stellen. (Lisa Breit, 30.3.2017)