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Die Kurse an der Wall Street sind für Fondsmanager Klaus Kaldemorgen schon etwas heißgelaufen.

Foto: Richard Drew

STANDARD: Sehen Sie in der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und im Brexit eine ähnliche Zeitenwende wie beim Zusammenbruch des Ostblocks 1989/90?

Kaldemorgen: Der Zusammenbruch des Ostblocks ging einher mit zunehmend liberaler Politik, Globalisierung und wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Das sind Werte, die derzeit auf dem Spiel stehen. Man merkt, dass die Regierungen eher nach innen denn nach außen blicken. Die enormen Wohlstandsgewinne, die durch die Globalisierung losgetreten wurden, scheinen nicht immer bei allen Wählern angekommen zu sein.

STANDARD: Welche Auswirkungen erwarten Sie durch Trump?

Kaldemorgen: Im Zuge seiner Politik werden die Zinsen vermutlich steigen. Aber er hat auch versprochen, dass die Löhne in den USA steigen werden. Das bedeutet meines Erachtens, dass die Wirtschaft in den USA weiter wachsen wird, vielleicht sogar stärker als in den letzten Jahren.

STANDARD: Steuern wir generell auf eine Phase zu, in der Inflation, Zinsen und Lohnzuwächse höher ausfallen werden, also einen wirklichen Wendepunkt?

Kaldemorgen: Genau das glaube ich. Wir haben schon einen Wendepunkt bei den Zinsen, der in den USA früher eintrat als in Europa. Die steigenden Zinsen resultieren im Wesentlichen aus höheren Inflationsraten, die sich speisen aus höheren Öl- und Rohstoffpreisen, aber auch aus höheren Löhnen.

STANDARD: Halten Sie die Euphorie der Wall Street seit Trumps Wahlsieg für überzogen?

Kaldemorgen: Wie ein US-Fed-Mitglied gesagt hat: Märkte sind nicht gut darin, politische Folgen zu prognostizieren. Sie reagieren gerne auf sehr einfache Botschaften – und die waren Ausgabensteigerung, Steuersenkungen und Deregulierungen. Das reicht, um Fantasie zu entfachen. Ob das alles zu wirtschaftlichem Erfolg führt, sei dahingestellt. Aber der Weg dorthin hört sich eigentlich ganz gut an und ist einfach und intuitiv verständlich. Wir haben zuletzt einen Rekord gefeiert: Noch nie in der Geschichte des Dow Jones wurden 1000 Punkte so schnell überwunden. Das schreit natürlich nach einer Korrektur.

"Ein Präsident, der das Land über Twitter-Botschaften regiert, macht die Kapitalmärkte anfällig für scharfe Bewegungen."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Immer steilere Anstiege werden in der sogenannten Milchmädchen-Hausse erzielt, der letzten Phase einer langen Aufwärtsbewegung. Ist das derzeit der Fall?

Kaldemorgen: Es scheint ein Muster zu geben, dass es alle sieben bis acht Jahre einen Einbruch an den Börsen geben muss. Insofern wäre eine Korrektur bald wieder fällig. Doch so blind sollte man der Statistik natürlich nicht folgen. Ich würde tatsächlich im Anstieg der Zinsen ein Problem sehen. Das kann von Gewinnsteigerungen ausgeglichen werden, deshalb haben sich die Anleger auch auf zyklische Unternehmen fokussiert. Aber ob die Gewinnsteigerungen tatsächlich kommen, ist nicht sicher. Insofern ist dieses Jahr anfällig für Enttäuschungen. Die Stimmung der Anleger ist für amerikanische Aktien viel besser als für europäische. Daher glaube ich, dass die Gefahr einer Korrektur aus den USA kommt. Ein Präsident, der das Land über Twitter-Botschaften regiert, macht die Kapitalmärkte natürlich auch anfällig für scharfe Bewegungen.

STANDARD: Wegen des Risikos von Fehlinterpretationen? 140 Zeichen pro Tweet sind ja nicht viel.

Kaldemorgen: Genau, es kann schnell Missverständnisse geben.

STANDARD: Messen Sie Technologien wie sozialen Netzwerken oder künstlicher Intelligenz generell die wirtschaftliche Revolutionskraft wie einst Eisenbahn, Auto oder Telefonie bei?

Kaldemorgen: Es mag sein – was gar nicht so schwer ist -, dass demnächst Maschinen bald intelligenter sind als Menschen. Mich interessiert, ob man Geld damit verdienen kann. Ich glaube, das dauert noch eine Weile. Ein großer Trend, den ich hoffentlich noch erleben werde, ist die Elektrifizierung des Automobilantriebs. Ich denke, das werden wir recht schnell sehen. Auch das selbstfahrende Auto wird nicht lange auf sich warten lassen – mit großen Konsequenzen für die Anbieter, da werden sich die Konkurrenzverhältnisse massiv verschieben.

STANDARD: Allerdings sind wir beim selbstfahrenden Auto schon bei künstlicher Intelligenz. Deutschland gilt als Autonation schlechthin – hat sich das Land durch die Fokussierung der Hersteller und Zulieferer auf Verbrennungsmotoren in eine Sackgasse begeben?

Kaldemorgen: Da ist sicherlich was dran, beim Trend zur Elektrifizierung gehört Deutschland nicht zu den Pionieren. Ich glaube zwar, dass die deutschen Hersteller auch gute Elekroautos bauen werden, aber die Gewinnmarge wird zurückgehen, weil die Wertschöpfung nicht mehr so hoch ist. Diese Wertschöpfung werden dann andere liefern.

STANDARD: In gesättigten Märkten sollte es auch zu einem Rückgang der Stückzahlen kommen? Dafür sollte Carsharing in Kombination mit selbstfahrenden Autos sorgen.

Kaldemorgen: Das ist sicherlich ein Thema. Die hohe Anzahl der Autos in gesättigten Märkten sehe ich in Zukunft nicht mehr.

STANDARD: Von selbstfahrenden Autos zu selbstfahrenden Fonds, also passiven Produkten, die zumeist starr einen Index nachbilden. Werden diese aktiv gemanagten Fonds weiter Marktanteile kosten?

Kaldemorgen: Am Ende entscheidet das der Markt. Passive Fonds haben eine starke Rolle eingenommen und sich gut im Markt etabliert. Aktive Fonds müssen ihre Vorteile stärker in den Vordergrund rücken und vielleicht nicht mehr in allen Segmenten Fonds anbieten.

STANDARD: Welche sind die Vorteile aktiven Fondsmanagements?

Kaldemorgen: Durch das starke Wachstum passiver Fonds gibt es Verzerrungen bei den Bewertungen einzelner Unternehmen. Die Flut hebt alle Unternehmen, die guten wie die schlechten. Wenn die schlechten genauso bewertet sind wie die guten, ergibt das die Chance für aktive Fonds, diese Unterschiede auszunutzen und auszugleichen. Das wird aber nur eine Nische sein. An den reifen Märkten mit breiten Indizes sind passive nur sehr schwer zu schlagen dieser Tage. Deshalb denke ich, dass aktive Fonds verstärkt in ineffizienten Nischen operieren werden. Das können kleine und mittelgroße Werte sein oder neue Märkte wie die Schwellenländer. Und passive Fonds werden immer stärker zu Bausteinen der aktiven Vermögensverwaltung.

STANDARD: Sie sind seit 1982 im Geschäft. Hätten Sie je gedacht, ungewöhnliche Maßnahmen wie Negativzinsen oder Anleihenkaufprogramme zu erleben?

Kaldemorgen: Nein. Wenn man aus einer Zeit mit hohen Inflationsraten kommt, steht man vor allem Anleihenkäufen sehr kritisch gegenüber. Im Nachhinein muss man sagen, es war so schlecht nicht, weil es eine gewisse Stabilität ins Finanzsystem gebracht hat – vor allem auch in Europa hinsichtlich der Staatsverschuldung. Was ich aber für einen großen Irrtum halte, sind negative Zinsen. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass dadurch irgendetwas verbessert wurde – im Gegenteil: Ich glaube, dass sie für die Banken kontraproduktiv sind.

STANDARD: Erwarten Sie von der EZB heuer die Ankündigung des Ausstiegs aus den Anleihenkäufen?

Kaldemorgen: Die Inflationsrate ist schon bei zwei Prozent, allerdings kann die EZB noch eine Weile wegen des Ölpreises behaupten, dass dieser Anstieg nicht nachhaltig ist. Wenn man die EZB mit der Fed vergleicht, stellt man eine zeitliche Verzögerung von vier Jahren fest. Insofern wäre es tatsächlich dieses Jahr, in dem langsam die Diskussion einer Rückführung der Anleihenkäufe stattfindet.

STANDARD: Deutschland und Österreich würden höhere Zinsen verkraften, der Süden noch nicht. Bekommt man das unter einen Hut?

Kaldemorgen: Die EZB sagt zu Recht, sie macht keine Zinspolitik für Deutschland oder Österreich, sondern für Europa. Sie muss sich an den Schwächeren orientieren. Meine persönliche Meinung dazu lautet, die Fiskalpolitik in Deutschland sollte endlich über ihren Schatten springen und von ihrem Dogma der Sparsamkeit herunterkommen. Es würde auch Deutschland guttun, etwas mehr Schulden zu machen und damit wichtige Ausgaben zu finanzieren.

STANDARD: Woran denken Sie?

Kaldemorgen: Was wäre so schlecht daran, damit ein riesiges Wohnbauprogramm zu starten? Wohnen ist ein Problem in Deutschland, es gibt zu wenige Wohnungen mit Mieten, die sich ein Durchschnittsverdiener noch leisten kann. Das wäre auch kein totes Kapital, sondern man würde Mieten kassieren, die über den Finanzierungskosten liegen. Das würde Sozialpolitik mit einem Beschäftigungsprogramm verbinden und sogar noch Ertrag bringen. Man kann auch durch Ausgaben etwas für die Schwächeren tun.

STANDARD: Zurück zur EZB: Werden Sie das Ende der Nullzinspolitik in Ihrer aktiven Zeit erleben?

Kaldemorgen: Hoffentlich. Ich möchte schon noch wissen, wie dieses Experiment ausgeht. (Alexander Hahn, 25.3.2017)