Das Motiv des Haarzopfs ist in Camille Henrots Ausstellung "If Wishes Were Horses" ein wiederkehrendes. Auch im Video "Tuesday" (2017) findet sich einer.


Foto: Courtesy kamel mennour, Galerie König, Metro Pictures

Wien – Es ist wie in manchem Tempel. Zunächst muss man die Schuhe ausziehen, wenn man die Präsentation von Camille Henrot (geb. 1978) in der Kunsthalle am Karlsplatz betritt. Die Künstlerin hat den Boden des Ausstellungsraums mit Sportmatten ausgelegt. Man wird ebensolche in ihrem Video Tuesday wiederfinden, worin Kampfsport eine zentrale Rolle spielt. Zunächst einmal stellt sich auf dem weichen Boden aber ein neues, Otto Normalbetrachter wenig vertrautes Körpergefühl ein.

Das sollte man programmatisch verstehen. Henrots Ausstellung If Wishes Were Horses ist darauf aus, die Welt auf symbolischer Ebene ins Schweben zu bringen. Die französische Künstlerin, die auf der Biennale von Venedig 2013 mit dem Silbernen Löwen als beste Nachwuchskünstlerin ausgezeichnet wurde, treibt ein kenntnisreiches, assoziatives, poetisches Spiel mit Machtstrukturen. Diese sollen einerseits kenntlich gemacht, andererseits veränderbar werden. Immer wieder führt Henrot dabei ins Feld des Sports bzw. des sexuellen Spiels – also in jene Sphäre, wo Machtstrukturen und Rollenverteilungen eben spielerisch verhandelt werden können.

Sanftheit und Gewalt

Zentraler Blickfang in der Schau ist ein riesiger, sich quer durch den Raum spannender "Zopf", geflochten aus Ketten, Seilen, Gummischläuchen. Wie ein auf die Seite gelegter Tornado mutet die Installation Tug of War (2017) an, mit der Henrot ein geräumiges Assoziationsfeld eröffnet. Benannt nach einer Sportart, dem Tauziehen, zitiert die Installation auch eine kleine Kulturgeschichte des Zopfes herbei: Ausdruck von Schönheit und Erotik war dieser, aber auch Insigne von Kriegern. Es ist die Gleichzeitigkeit von Sanftheit und Gewalt, die hier ein Spannungsfeld stiftet.

Weitere Denkimpulse bietet das Begleitheft zur Ausstellung. Etwa mit einem Auszug aus einem Interview mit Michel Foucault oder einem Text Gilles Deleuzes über das Zopfabschneiden. Ein Thema, das auch Richard von Krafft-Ebing in Psychopathia sexualis (1892) aufgreift: mit der Fallbeschreibung eines Mannes, der Mädchen aus Gründen des Lustgewinns ihre Zöpfe abschnitt.

Auf Fragen der Machtverteilung zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit ließe sich in der Ausstellung die Skulptur I Say (2017) münzen. Ein an die surrealistische Plastik gemahnendes, entfernt einen verstümmelten, menschlichen Körper andeutendes Objekt schmiegt sich an einen Boxsack, hält diesen umklammert. Verhältnismäßig unsubtil erscheint demgegenüber die Wait What (2017): Die Skulptur zeigt eine Art Katze, die erschlafft auf der Spitze einer hochaufragenden, phallischen Säule hängt.

Eine jedenfalls reizvolle Arbeit ist das eingangs erwähnte Video Tuesday (2017). Henrot verknüpft darin Eindrücke aus der Welt des Pferderennens mit solchen von Jiu-Jitsu-Kämpfern in der Sporthalle. Das Tempo der Bilder hat sie dabei gen Slow-Motion reduziert und sie überdies mit einem geschmeidigen Soul-Soundtrack unterlegt, der an einen Softporno erinnert.

Ein kleiner Kunstgriff mit großem Effekt. Die im Sportsaal kämpfenden Männer, einander niederwerfend oder ineinander verhakt, scheinen nun wie im Liebesspiel befangen. Gesten der zugleich spielerischen und körperlichen Aggression werden zu solchen der Zärtlichkeit. Die Grenze scheint fließend zu sein.

Die Sexfilm-Anmutung betrifft im Übrigen auch die Bilder von der Pferderennbahn. In der Verlangsamung erinnern die Hände von Pflegern, die Pferde striegeln, plötzlich an das Klischee von der lasziv ein Auto waschenden Frau. Fragen der Gewalt, die Menschen über Tiere ausüben, werden damit in den Raum gestellt, ja. Und abgesehen davon ist Tuesday auch noch ziemlich lustig. (Roman Gerold, 22.3.2017)