In Haiming baut die Firma Handl Tyrol eine Speckfabrik.

Foto: Ardis Archäology

Innsbruck – 70 Jahre lang interessierte sich niemand für die Brache im Industriegebiet von Haiming, am Eingang zum Tiroler Ötztal. Im Zweiten Weltkrieg wollten die Nationalsozialisten hier ein Wasserkraftwerk sowie einen Windkanal errichten – beide Projekte wurden nie fertiggestellt. Doch insgesamt hatte das NS-Regime dazu über 200.000 Quadratmeter an Grundflächen von örtlichen Bauern gekauft.

Nach dem Krieg übernahm die heutige Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag), eine Tochter des Landes, als Rechtsnachfolgerin die Liegenschaft. 1950 entschied die da- malige Rückstellungskommission, dass diese Besitzverhältnisse rechtmäßig seien. Zudem plane die Tiwag hier noch ein Kraftwerk zu errichten.

Im April 2016 wurde bekannt, dass die Tiwag nun einen Teil dieser Gründe an den Speckproduzenten Handl Tyrol verkauft, der seit Jahren auf der Suche nach einem Standort für eine Betriebserweiterung war. Dieser Verkauf rief die Erben der einstigen Bauern auf den Plan, die nun behaupten, dass diese Grundstücke zum Teil unter Zwang verkauft hätten werden müssen.

Die Nazis wollten hier ein Kraftwerk und einen Windkanal errichten., wie dieses historische Luftbild zeigt.
Foto: TIRIS

34 Rechtsnachfolger

Anton Raffl, der Sprecher der insgesamt 34 Rechtsnachfolger, die sich nun zusammengeschlossen haben, ist der Meinung, die Tiwag hätte ihnen die Gründe zuerst zum Rückkauf anbieten müssen, bevor sie an Handl hätten veräußert werden dürfen: "Wenn das Kraftwerk nicht gebaut wird, haben wir ein Rückkaufrecht." Tiwag-Vorstand Erich Entstrasser beharrt wiederum auf dem Standpunkt, dass der Verkauf rechtens sei, und verweist auf das Urteil der Feststellungskommission.

Mittlerweile hat sich das Land Tirol als Vermittler eingeschaltet. In der Vorwoche trafen sich die Erben mit Landeshauptmannstellvertreter Josef Geisler (ÖVP) zu ersten Gesprächen, die gut verlaufen seien, sagt Raffl. Eine Klage gegen die Tiwag sei das letzte Mittel, betont er. In den kommenden Wochen sollen weitere Gespräche stattfinden, im Zuge deren Raffl neue Beweise für das Rückkaufrecht darlegen will.

Archäologische Grabungen

Die Firma Handl hat inzwischen mit Bauarbeiten auf dem Grundstück begonnen. Zuvor hat man auf eigene Kosten von 250.000 Euro in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt archäologische Untersuchungen durchgeführt, um die Geschichte des Geländes aufzuarbeiten. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch wurde dargelegt, dass sich die jetzige Baustelle nicht, wie von vielen Medien behauptet, auf einem ehemaligen Zwangsarbeiterlager befindet, sondern auf dem Gelände der einstigen Kraftwerksbaustelle. Am Standort des einstigen Lagers befindet sich seit 25 Jahren ein Campingplatz.

Geschäftsführer Karl Handl betonte, dass ihm die Aufarbeitung der Geschichte wichtig sei. Die Vorwürfe der Bauern kann er jedoch nicht nachvollziehen: "Ich habe diesen Grund von der Tiwag, den Gemeinden Haiming und Silz sowie zwei Bauernfamilien gekauft." Wenn damals alle gezwungen wurden, zu verkaufen, warum nicht auch diese beiden Familien, die seit 1908 im Grundbuch stehen?"

Eine Frage, die auch Raffl nicht wirklich beantworten kann. Er beharrt aber darauf, dass er und die anderen Erben um ihr Rückkaufrecht gebracht worden seien. Nun wolle man eine Entschädigung. (Steffen Arora, 23.3.2017)