Blumen zum Gedenken an die Anschlagsopfer in London.

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Der Politologe und Resilienz-Forscher Jan Pospisil stellt im STANDARD-Interview fest, dass die britische Gesellschaft sehr gelassen auf Terroranschläge reagiert. Einen Grund dafür sieht er darin, dass die britische Regierung ihre Krisenkommunikation seit den Anschlägen von 2005 umgestellt hat. Man verspricht nicht mehr, dass man Anschläge verhindern kann. Ein hohes Bedrohungslevel wird kommuniziert, ohne dass jedoch zu viel auf sichtbare Abschreckung gesetzt wird.

STANDARD: In den letzten Jahren wurde Europa immer öfter Ziel von Anschlägen mit islamistischem Hintergrund. Letztes Beispiel ist das Attentat von London-Westminster. Wie reagiert die britische Gesellschaft darauf?

Pospisil: Sie reagiert im Vergleich zu Frankreich oder Belgien gelassener. Das liegt nicht zuletzt an der Krisenkommunikation der britischen Regierung, die sich seit den verheerenden Anschlägen in London im Jahr 2005 verändert hat. In den Achtziger- und Neunzigerjahren hieß das Credo noch: Wir können die IRA schlagen. Nun heißt das Narrativ: Wir können euch nicht versprechen, dass diese Art von islamistischen Angriffen nicht mehr passiert. Was wir tun können, ist, uns so gut wie möglich vorzubereiten. Wenn ein Anschlag stattfindet, müssen wir mit pragmatischem Realismus, aber entschlossen reagieren.

STANDARD: Die Medien reagieren aber auch in Großbritannien oft nicht mit pragmatischem Realismus.

Pospisil: Die Boulevardmedien tun das nicht, das stimmt. Aber die Qualitätsmedien gehen hier sehr besonnen vor, zeigen nie die Täter, und die Opfer nur auf älteren Bildern. Die Idee ist, dass die Plattform für Terroristen so gering wie möglich ist.

STANDARD: Ist die britische Gesellschaft durch die IRA-Geschichte Terror auch mehr gewohnt als andere?

Pospisil: Die Menschen haben die Tendenz, schnell zu vergessen, einen Gewöhnungseffekt sehe ich nicht. Wie schon erwähnt: Viel stärker im kollektiven Gedächtnis sind die Anschläge von 2005. Offiziell wird seitdem ein hohes Bedrohungslevel kommuniziert, ohne dass jedoch zu viel auf sichtbare Abschreckung gesetzt wird. Die Botschaft ist vielmehr eine der allgemeinen Vorbereitung der Bevölkerung bei gleichzeitiger Maximierung der Effektivität von Abwehrmaßnahmen.

STANDARD: Worin sehen Sie die gravierendsten Unterschiede im Umgang mit Terroranschlägen zu Frankreich oder Belgien?

Pospisil: Dort führen Terroranschläge immer zu intensiven politischen Folgediskussionen. In Großbritannien führt man keinen grundsätzlichen Islam-Diskurs und diskutiert nicht über Verschleierungsverbote. Burkaverbote verhindern den Terror nicht, sondern ziehen ihn an.

STANDARD: Was ist mit der Diskussion über verschärfte Sicherheitsmaßnahmen?

Pospisil: Das gehört zu der entschlossenen Reaktion, die ich vorhin meinte. Erst vor wenigen Tagen hat ja Großbritannien mit den USA mitgezogen und will beispielsweise Laptops auf Flügen aus dem Nahen Osten und Nordafrika verbieten. Solche Maßnahmen werden von Experten fast durchgängig als ineffektiv bewertet, dienen aber dazu, der Bevölkerung zu zeigen, dass die Regierung die Bedrohungslage ernst nimmt. Mir fällt auch auf, dass die aktuelle Regierung unter Theresa May den Sicherheitsaspekt stärker betont. Dieser politische Aktionismus geht mit der eher auf Gelassenheit fokussierenden Krisenkommunikation Hand in Hand.

STANDARD: Gibt es diese Bedrohungslage auch in Österreich?

Pospisil: Es wäre zumindest naiv zu meinen, dass Österreich kein Terrorziel sein kann, weil es nicht aktiv an Kampfhandlungen im Nahen Osten teilnimmt. Außerdem hat Österreich ja bereits eine Historie, was Terrorismus aus der Region betrifft, ich erinnere an die Opec-Geiselnahme Mitte der Siebzigerjahre. Was das subjektive Bedrohungsgefühl betrifft, möchte ich aber auch auf die Statistiken hinweisen. Das Risiko, durch einen Terroranschlag umzukommen, ist minimal. Viel wahrscheinlicher ist es, durch einen Unfall im Haushalt oder einen Verkehrsunfall zu sterben. Die Angst vor Terror ist irrational überbewertet. (Manuela Honsig-Erlenburg, 23.3.2017)