Wien – Dass sich die beiden Koalitionspartner SPÖ und ÖVP nicht sonderlich mögen, ist hinreichend bekannt und belegt. Was die Kritik an der Regierung betrifft, kann diese offenbar gut auf die Opposition verzichten, das erledigt sie schon selbst. Die Regierung macht sich selbst schlecht, ohne Hilfe von außen.

Erst am Donnerstag ist Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wieder zu neuen Attacken auf Kanzler Christian Kern (SPÖ) ausgerückt, in den "Vorarlberger Nachrichten" warf er ihm vor, sich im Dauerwahlkampf zu befinden. Sobotka über Kern: "Der Herr Kanzler hat den Spruch geprägt: Politik ist 95 Prozent Inszenierung und fünf Prozent Inhalt. Das lebt er mit Virtuosität."

Die Agentur Media Affairs hat im Zuge einer Medienmarktanalyse nun die wechselseitige Kritik der Regierungsparteien in österreichischen Tageszeitungen ("Kronen Zeitung", "Kurier", "Österreich", "Heute", DER STANDARD, "Die Presse") im Zeitraum von 1. Jänner bis 15. März ausgewertet und kam zu folgenden Schlüssen: 78 Prozent der Kritik an der SPÖ durch andere Parteien kommen vom Koalitionspartner ÖVP. Nur 14 Prozent der an der SPÖ geäußerten Kritik kamen von der FPÖ, der Rest von Grünen und Neos.

Bundeskanzler Kern wird deutlich stärker kritisiert als alle ÖVP-Regierungsmitglieder zusammen. Speerspitze der Kritik an Kern ist Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), erläutert der Geschäftsführer von Media Affairs, Walter Schwaiger, im Gespräch mit dem STANDARD. Für ihn ist auffallend, dass sich Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) offenbar bewusst zurückhält und so gut wie keine direkte Kritik am Kanzler äußert. Das erledigen in erster Linie Sobotka, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Finanzminister Hans Jörg Schelling und ÖVP-Generalsekretär Werner Amon. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka hat sich in den letzten Monaten übrigens merkbar zurückgehalten.

Auffällig sei jedenfalls, dass ÖVP-Chef Mitterlehner kaum in der Kritik des Koalitionspartners steht. Offenbar wird der Vizekanzler nicht als Bedrohung wahrgenommen. Die Kritik der SPÖ richtet sich in erster Linie gegen Innenminister Sobotka und Außenminister Kurz. Beide polarisieren stark in der SPÖ.

Schwaiger will aus den Daten ein Ansteigen des Konfliktniveaus erkennen und glaubt, dass der Höhepunkt noch nicht erreicht sei. Er betont, dass er die Auswertung seiner Medienanalyse in Bezug auf die Parteien aus eigenem Antrieb und nicht im Auftrag einer Partei vorgenommen habe. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler sagt auf Anfrage des STANDARD dazu: "Wir hatten schon lange den Eindruck, dass die Kritik am Bundeskanzler vonseiten des Koalitionspartners maßlos geworden ist. Die ÖVP wäre gut beraten, hier Vernunft walten zu lassen und die konstruktive Regierungsarbeit in den Vordergrund zu stellen. Man muss ja der Opposition auch noch ein bisschen Luft lassen." (Michael Völker, 23.3.2017)