Wiens Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky gibt sich offen ...

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... für neue Lern- und Schulformen.

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Wien – Vier Buben sitzen auf dem Gang einer Volksschule in der Kindermanngasse in Wien-Hernals auf dem Boden. Auf dem Packpapierbogen vor ihnen sind Bilder von menschlichen Nieren aufgeklebt. Zwei der Buben halten gemeinsam ein Tablet in ihren Händen, ein anderer schreibt mit seiner Füllfeder auf, was die beiden vorlesen. "Wie schreibt man das?", fragt er.

Die Buben machen nicht etwa noch schnell Hausaufgaben nach, es ist ihr regulärer Unterricht, sie bereiten ein Plakat vor. Das Thema ist der menschliche Körper, die Nieren haben sie sich als ihr Spezialgebiet gewählt. "Wir sind eine Neue Grundschule", sagt Ursula Cermak, Direktorin der Volksschule. Die Schule ist einer von 300 Schulversuchen zur alternativen Leistungsbeurteilung an einer der 280 Wiener Volksschulen (oft gibt es mehrere Schulversuche, auch klassenweise, an einem Standort).

Konzepte für einen Schulversuch können von den Bildungsstätten eingebracht werden, dann braucht es die Genehmigung des Bundes. "Mit der neuen Schulautonomie wird das besser", sagt der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky. Wien werde als "Welthauptstadt der Schulversuche" kritisiert, so der SPÖ-Politiker. Für ihn sind die verschiedenen Konzepte aber Positivbeispiele. "Die Vorstellung, dass Kinder mit Wissen befüllt werden können, ist einfach falsch." Schulen wie diese seien heute "keine geduldeten Ausnahmen" mehr. Dass diese Art des Lernens zur Normalität gehöre, müsse "vor den Vorhang" geholt werden. Czernohorszky wünscht sich daher, dass der Stadtschulrat künftig nicht mehr nur "Verwaltungsbehörde" ist, sondern zum "Haus der Lehrer" mit einem Infocenter zu alternativen Schulkonzepten werde.

Spielen, Bücher, Fragen

Das Ziel in der Hernalser Schule ist es, dass die 285 Kinder sich ihr Wissen unterstützt von 25 Pädagogen in offenen Phasen selbst erarbeiten. Klassenlehrer stehen dabei nicht an der Tafel zum Frontalunterricht, sie befüllen Regale mit Büchern, Fragebögen, Spielen und anderem. Die Kinder wählen aus, worauf sie Lust haben, egal ob sie über die Planeten lernen oder Schnüre abmessen. "Es gibt ein Pensum, das die Kinder im Jahr erfüllen müssen, Tempo und Reihenfolge bestimmen aber sie", sagt eine junge Lehrerin. Mittels der Aufgaben im Regal werde das etwas gesteuert. Und: "Es gibt auch gebundene Phasen." In diesen ist vorgegeben, was erledigt werden muss. Noten gibt es erst ab der vierten Klasse. Von der ersten bis zur dritten beurteilen die Kinder sich erst selbst, dann erst die Lehrer die Schüler.

Ab der zweiten Grundschulstufe (dritte und vierte Klasse) arbeiten die Kinder mit Tablets. An den Wänden hängen QR-Codes, die zu Webseiten über bestimmte Organe führen. "So helfen wir den Kindern, gleich auf die richtigen Seiten zu kommen", sagt Cermak.

Durch das jahrgangsübergreifende, offene Lernen würden Kinder, die einen Vorsprung haben, schwierigeren Stoff als ihre Klassenkollegen lernen können. Das Problem sei aber, dass nach der Grundschule ein Bruch komme. "Den Vorsprung, den Schüler haben, können sie nicht über die vierte Klasse hinweg mitnehmen", sagt Czernohorszky. Er will einen Lehrplan, der von der ersten bis zur achten Schulstufe geht. (Oona Kroisleitner, 24.3.2017)