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Theresa May legte den Fokus am Donnerstag auf die Opfer.

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Die Absperrungen vor dem Parlament in London bleiben vorerst aufgespannt. Die Westminster Bridge, wo ein Attentäter tags zuvor Menschen überfuhr, öffnete am Donnerstag wieder.

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Vierundzwanzig Stunden lang, bis in den Nachmittag des Donnerstags hinein, machen Politik und Medien in London den Eindruck, als folgten sie der Maxime eines prominenten Witwers. Man solle doch, hat Brendan Cox kurz nach dem blutigen Terroranschlag von Westminster am Mittwoch gesagt, über "die Liebe und Tapferkeit der Opfer" reden, nicht nur über den Hass des Täters. Der Mann weiß mehr darüber, als ihm lieb ist: Vor neun Monaten, auf dem Höhepunkt des Brexit-Abstimmungskampfes, wurde seine Frau Jo Cox, eine 41-Jährige Labour-Abgeordnete, von einem Rechtsextremen ermordet.

Als gelte es die Cox-Maxime zu beherzigen, wetteifern Behördensprecher und Politiker um die beste Würdigung der Opfer, vom Täter ist kaum die Rede. Man wolle aus ermittlungstaktischen Gründen den Namen nicht nennen, sagt der zuständige Abteilungsleiter von Scotland Yard, Mark Rowley, und bittet die Medien um Diskretion. Am Abend gibt die Polizei doch noch Details bekannt: Khalid Masood (52), ein britischer Staatsbürger asiatischer Abstammung, geboren in Kent, zuletzt wohnhaft in Birmingham, mehrfach vorbestraft, steht im Zentrum der Untersuchung. Premierministerin Theresa May hatte schon in ihrer Regierungserklärung im Unterhaus Erhellendes angemerkt: Der Mörder von Westminster sei ein Einzeltäter, aber beeinflusst vom internationalen Terror. Vor Jahren sei er ins Visier des Inlandsgeheimdienstes MI5 geraten. "Aber er tauchte nicht in aktuellen Sicherheitsanalysen auf."

Durchs Netz geschlüpft

Keiner der Redner im Parlament, auch May nicht, hält sich an diesem Tag mit diesem unbequemen Faktum auf. Der Rädelsführer der Selbstmordattentäter vom Juli 2005, Mohammed Siddique Khan; einer der Mörder des Füsiliers Lee Rigby im Mai 2013; nun der Mehrfachmörder von Westminster – allesamt waren sie britische Muslime, die in den Verdacht der islamistischen Gewaltbereitschaft geraten waren, aber keinen Anlass für dauerhafte Observation gegeben hatten.

Auf gut 3000 Gefährder schätzen die Experten die Jihadistenszene auf der Insel. Wieder ist ihnen, so scheint es, einer durch die Maschen des Fahndungsnetzes gerutscht.

Mit einem in Birmingham gemieteten Geländewagen rast der Täter am Mittwochnachmittag über die Westminster Bridge aufs Parlament zu, lenkt am Südende der Brücke das Fahrzeug auf den Gehsteig und hinterlässt eine Spur der Zerstörung. Von 40 Verletzten berichten die Krankenhäuser am folgenden Tag. Schulkinder aus der Bretagne sind darunter, Männer und Frauen aus elf Nationen. Zu ihnen zählt Melissa Cochran aus dem US-Bundesstaat Utah. Nicht nur liegt sie mit schweren Verletzungen im Krankenhaus; die Touristin muss auch mit dem Tod ihres Mannes Kurt fertig werden, einer von zwei Todesopfern auf der Brücke. Tödlich verletzt wird auch die aus Spanien stammende Britin Aysha Frade. Die Sprachlehrerin hinterlässt einen Mann und zwei Töchter.

UK Parliament

Der Attentäter beendet seine Amokfahrt am Parlamentszaun und dringt in den Hof des Parlaments ein. Dort sticht er den 48-jährigen Polizeibeamten Keith Palmer tödlich nieder, ehe drei Schüsse aus einer Polizeipistole sein eigenes Leben beenden.

"Die Stimme des Bösen und des Hasses vermag uns nicht zu trennen", sagt Premierministerin May und spricht von dem unbewaffneten Polizisten als "Zoll für Zoll ein Held". 15 Jahre lang hat der einstige Berufssoldat im Artillerieregiment für Sicherheit im Parlament gesorgt. Am Mittwochnachmittag wurde er zum dritten und letzten Opfer des Birminghamer Gewalttäters.

Der Öffentlichkeit empfiehlt die Regierungschefin erhöhte Aufmerksamkeit, warnt aber vor übertriebenen Reaktionen. Offizieller Regierungseinschätzung zufolge müsse ein Terroranschlag in Großbritannien weiterhin als "höchst wahrscheinlich" gelten. Das ist die zweithöchste Gefährdungsstufe, an der sich auch nichts ändern solle, sagt May: "Wir haben keine Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden weiteren Anschlag."

Brendan Cox führt am Donnerstag seine Ein-Mann-Kampagne fort. Der Name des Täters sei ihm herzlich egal, teilt er auf Twitter mit. "Ich werde mich an diesen Namen erinnern: Keith Palmer". Polizisten riskierten täglich ihr Leben: "Sie verdienen unsere Unterstützung."

(Sebastian Borger aus London, 23.3.2017)