München/Berlin – Wincent Wer? Bis vor kurzem war der junge Mann aus Eutin in Schleswig-Holstein ein No-Name. Doch dann wurde ein "Bravo"-Redakteur sein Manager.

"Schlechtester Kandidat"

Rückblick ins Jahr 2013, erste Runde von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS): Wincent Weiss, Schüler aus Schleswig-Holstein, begeistert die Vorjury. Er schafft es in die zweite Runde. Die findet auf der Karibikinsel Curaçao statt. Doch dieses Mal kommt er nicht gut an. DSDS-Juror Dieter Bohlen nennt ihn den "schlechtesten Kandidaten des Abends".

Weiss ist raus. Doch seiner Karriere scheint dies nicht zu schaden.

Gut drei Jahre später, zu Silvester 2016, ist Wincent Weiss einer von 14 Künstlern, die vor dem Brandenburger Tor auf der Bühne stehen. Der NDR preist ihn an als den "Senkrechtstarter aus Eutin", im Frühjahr 2017 wird die Tour für sein erstes Album starten. Auf Facebook schreibt Weiss in diesen Tagen: "Unfassbar, was in den letzten Monaten alles passiert ist…"

Eine nützliche Verbindung

So unfassbar ist das gar nicht, denn hinter der Karriere des Künstlers steckt auch eine nützliche Beziehung. Sascha Wernicke, der Manager von Wincent Weiss, arbeitete gleichzeitig bis Ende 2016 als Redakteur beim Magazin "Bravo". Die beiden hätten sich kennengelernt, nachdem Weiss bei DSDS ausgeschieden sei, sagt Wernicke auf Anfrage. Da er selber jahrelang als Songwriter gearbeitet habe, hätten er und Wincent Weiss angefangen, musikalisch zusammenzuarbeiten. Später, so Wernicke, habe er dann auch Management-Aufgaben für Weiss übernommen.

Es ist eine überaus nützliche Liaison. Denn schon in den vergangenen Jahren puscht die "Bravo"-Redaktion Wincent Weiss auf ihren Online-Kanälen, beim Streamingdienst Spotify, auf Instagram und Twitter.

Auf der Spotify-Playlist "Bravo Top Hits – die Lieblingslieder aus der Bravo-Redaktion" taucht Wincent Weiss mit gleich zwei Titeln auf. Insgesamt steht der Künstler auf der Hälfte aller Playlists der Redaktion und hat insgesamt mehr Erwähnungen als Weltstars wie Justin Bieber oder Rihanna.

Foto: Screenshot Bravo/Facebook

Oder Twitter: 2013, nach dem Rauswurf Weiss’ bei DSDS, twittert die "Bravo": "Schock! Wincent Weiss raus bei DSDS??????!!!!! Und Mega-Sängerin Diyana Hensel auch???" Dem Twitter-Account der Bravo folgen heute 240.000 Nutzer.

Nette Bilder

Auch bei Instagram postet die "Bravo"-Redaktion immer wieder nette Bilder von Wincent Weiss. Juni 2016: die "Bravo"-Redaktion auf seinem Konzert in Augsburg. Ebenfalls im Juni 2016: ein Video von Weiss, wie der Trampolin hüpft. Davor, im April 2016: ein Gewinnspiel. Zu gewinnen gibt es je fünf Bilder, einmal von Wincent Weiss, einmal von Disney-Star Martina Stoessel. Teilnahmebedingung: Die Nutzerinnen und Nutzer müssen die Ankündigung unter dem Hashtag #musiksein teilen und sowohl Wincent Weiss wie Martina Stoessel auf Instagram folgen. #musiksein ist der Titel von Weiss’ zweiter Single.

Sascha Wernicke sieht darin kein Problem, wie er auf Anfrage von CORRECTIV mitteilt. Er sagt, er habe gegenüber der "Bravo"-Redaktion seine Nebentätigkeit offengelegt, außerdem habe er selbst nie in der "Bravo" über Wincent Weiss geschrieben.

"Bravo" ist das bekannteste Jugendmagazin Deutschlands. Seit seiner ersten Ausgabe im Jahr 1956 hat die Zeitschrift Generationen von Jugendlichen über Sex, Liebe und Pickel aufgeklärt. 1979 erreichte das Magazin eine Auflage von rund 1,8 Millionen gedruckten Exemplaren. Heute liegt sie bei 121.000 Exemplaren. Mindestens ebenso wichtig wie das gedruckte Heft sind heute die Online-Kanäle. Auf Facebook folgen rund 900.000 Menschen "Bravo", auf Twitter 240.000, auf Instagram fast 300.000.

Eine unabhängige Redaktion?

"Bravo" hat in ihrer Geschichte immer wieder junge Künstler gepusht. Tokio Hotel zum Beispiel hat das Magazin von Anfang an nach vorn geschrieben. Doch ist die Redaktion in ihren Empfehlungen noch unabhängig, wenn ein Redakteur gleichzeitig der Manager des Künstlers ist?

"Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion (...) aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktion achten", heißt es im deutschen Pressekodex. Demnach darf Wernicke grundsätzlich als Manager von Weiss arbeiten. Die Regel bedeutet aber auch, dass die Berichterstattung der "Bravo" nicht beeinflusst wird durch seine Tätigkeit als Manager.

Vergangenes Jahr ging in der Sache Weiss/Wernicke eine Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Der Vorwurf: Die "Bravo" verstoße mit ihrer Berichterstattung über Wincent Weiss gegen Artikel 6 und 7 des Pressekodexes. Der Presserat prüfte die Beschwerde, stellte allerdings keinen Mangel fest. Er argumentierte: Für einen Verstoß gegen Artikel 6 müsste der Presserat eindeutig feststellen können, dass der betreffende Redakteur selbst vermehrt über den Künstler geschrieben habe. Eine vermehrte Berichterstattung allein sei noch kein Kriterium. "Ein Medium wie die "Bravo" ist grundsätzlich frei darin zu entscheiden, über jemanden mehr oder weniger zu berichten", sagt Jens Radulovic, der die Beschwerde beim Presserat bearbeitete.

Kommerzielle Wirkung

Entscheidend sind heute die Online-Kanäle, auch für eine Medium wie "Bravo". Spotify hat 40 Millionen zahlende Kunden. Wo eine Redaktion einen Song in diesem Umfeld einsortiert, hat kommerzielle Auswirkungen. Wernicke äußerte sich nicht zu der Frage, welchen Zugang er zu den Social-Media-Kanälen der Redaktion hatte.

"Bravo" erscheint im Bauer-Verlag. Der rühmt die Orientierungswirkung der "Bravo" in den sozialen Medien. ",Bravo‘" ist die stärkste deutsche Printmedien-Marke in den sozialen Medien und hat die mit Abstand meisten Follower in den für die junge Zielgruppe relevanten Kanälen wie Instagram, Snapchat, Musical.ly, Twitter und WhatsApp", schreibt der Verlag.

"Bravo" über die Chartperformance von Koby Funk und Wincent Weiss.
Foto: Screenshot Bravo.de

Auch der Bauer-Verlag sieht keine Verfehlung. "Der Verlag und die Redaktion waren über die Nebentätigkeit von Sascha Wernicke informiert und die Verantwortlichkeiten haben die Berichterstattung zum Musiker Wincent Weiss dahingehend bewusst abgewogen. Die Aktivitäten zu Wincent Weiss entsprechen seiner Relevanz für die ,Bravo‘-Zielgruppe", teilt der Verlag auf Anfrage mit. Der Verlag rechtfertigt die Berichterstattung der "Bravo" damit, dass es in der jungen Zielgruppe keinen anderen deutschsprachigen Künstler mit vergleichbarem Potenzial gebe.

Seit Anfang 2017 arbeitet Sascha Wernicke nicht mehr bei "Bravo". Sein Abschiedspost auf Instagram vom 29. Dezember 2016: "13 Jahre durfte ich als ,BRAVO‘-Redakteur einen der für mich wohl schönsten Jobs überhaupt machen. (...) Jetzt ruft die Musik."

Am Neujahrstag 2017 verschickt Wernicke dann einen weiteren Post zum neuen Jahr: Eine verschwommene Schwarz-Weiß-Aufnahme von ihm und Wincent Weiss. (Meret Michel, 24.3.2017)