Ein ukrainisches Einreiseverbot für die russische Sängerin Julia Samoilowa sorgt für gehörigen Wirbel.

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Als am Mittwoch bekannt wurde, dass die ukrainischen Behörden der russischen Sängerin Julia Samoilowa die Einreise untersagen werden, gingen im Wesentlichen zwei Meinungen durch das Internet. Die einen schimpften über die ukrainischen Behörden: Wie kann man so herzlos sein und eine Sängerin, die im Rollstuhl sitzt, so behandeln? Und wie so oft im russisch-ukrainischen Krieg der Worte war der Vorwurf einer faschistischen Regierung in Kiew wieder da.

Auf der anderen Seite warfen viele Menschen den Russen vor, von Anfang an provoziert und bewusste eine Eskalation geplant zu haben. Als der russische Sender Channel One die Samoilowa auswählte, wussten sie wohl schon, dass die Sängerin 2015 auf der Krim aufgetreten war und das laut ukrainischem Gesetz bedeutet, nicht mehr einreisen zu dürfen. Schwer vorstellbar, dass das nicht vorab gecheckt worden sei.

Eurovision Song Contest

EBU scheiterte mit diplomatischer Idee

Die EBU, der europäische Dachverband der Sender, der den Song Contest trägt, hat bei diesem Ballern aus zwei verbalen Schützengräben rund um den Eurovision Song Contest, der vom 9. bis 13. Mai in Kiew stattfindet, versucht, diplomatische Lösungen anzubieten. Als die EBU festhielt, dass sie davon ausgehe, dass alle Teilnehmer auch wirklich mitmachen können, kam prompt Kritik aus der Ukraine. Als sie dann dem russischen Sender Channel One die Möglichkeit bieten wollte, dass der russische Beitrag über Satellit zugeschaltet wird, kam Kritik von beiden Seiten, und der Vorschlag wurde sowohl von den Russen als auch den Ukrainern abgelehnt.

Die Posse rund um die russische Teilnahme wird wohl noch weitergehen und hat auch ihre skurrilen Seiten: Robbie Williams hat den Russen angeboten, für sie an den Start zu gehen. Unklar bleibt jedenfalls, ob Russland einen Ersatzkandidaten schicken wird, der nicht auf der Krim war und keine ukrainischen Gesetze verletzt hat, oder ob man sich endgültig zurückziehen wird.

Währenddessen gibt es mittlerweile auch Gerüchte über die armenische Sängerin Artsvik, die ebenfalls auf der Krim aufgetreten sein könnte.

Fans: Politischer Missbrauch

Der Eurovision-Fan, der immer noch hofft, dass Musik Konflikte und Kriege überwinden und dafür sorgen kann, dass zumindest in einer Woche des Jahres das gemeinsame Feiern im Vordergrund steht, sieht sich getäuscht und desillusioniert. Die Hoffnung, dass sich der haushohe Favorit Italien durchsetzt und die nächsten ESCs in friedlichen Ländern stattfinden, ist groß. Vor allem überwiegt der Ärger, dass der Song Contest 2017 politisch missbraucht wird.

Politische Rückzüge bei ESCs

Ganz neu sind politische Konflikte beim Eurovision-Spektakel, das unbedingt unpolitisch sein möchte, allerdings nicht. Rückzüge aus politischen Gründen fanden bereits öfter statt:

  • 1969 boykottierte Österreich den Song Contest, der in der Franco-Diktatur Spaniens stattfand.
  • 1975 zog Griechenland seine Teilnahme zurück, als die Türkei beim ESC debütierte – ein Jahr nach der Teilung Zyperns.
  • 1976 wiederum zog sich die Türkei zurück, als Griechenland zurückkehrte und einen Song über die "Zerstörung des Heimatlandes" einsandte.
  • 1977 wollte Tunesien teilnehmen, zog dann aber zurück. Die Gründe sind nicht bekannt, aber arabische Länder wollten den israelischen Beitrag nie zeigen.
  • 1979 wurde Gerüchten zufolge die Türkei stark unter Druck gesetzt, den ESC in Jerusalem zu boykottieren, und sie gab nach.
  • 1980 machte Israel ein Jahr Pause, da der ESC an Israels Gedenktag für die gefallenen Soldaten und Terroropfer, Yom Hazikaron, stattfand. Marokko nutzte die Gelegenheit, war aber im nächsten Jahr mit Israels Rückkehr nicht wiedergesehen.
  • 2005 hatte der libanesische Sender bereits einen Song für den Bewerb in Kiew ausgewählt, es war aber geplant, den israelischen Beitrag auszublenden. Das ging jedoch nicht, der Libanon zog sich zurück.
  • 2009 wurde Georgien ausgeschlossen und konnte nicht nach Moskau reisen, um den Song "We Don't Wanna Put In" zu performen. Der Text war nach dem Krieg um Ossetien und Abchasien zu eindeutig.
Wäre 2012 aus politischen Gründen fast armenischer Vertreter geworden: der österreichische Sänger Sankil Jones mit "Fire".
Bilderfräulein

2012 stellte sich die Frage, ob Armenien am ESC im Land des langjährigen Kriegsgegners Aserbaidschan teilnehmen sollte. Fast wäre eine diplomatische Lösung gefunden worden: Der österreichische Popsänger Sankil Jones sollte Armenien mit "Fire" vertreten. Man entschied sich dann aber doch für den totalen Rückzug. (Marco Schreuder, 24.3.2017)