Stellen Sie sich vor, jemand tötet Ihren Bruder, Vater oder Sohn und die Behörden denken nicht daran, den Fall aufzuklären. Mehr noch: Die Polizei eskortiert den Mörder zum Flughafen, um ihn unbehelligt ausreisen zu lassen. Nein, wir befinden uns nicht in einem Mafiastaat, sondern in der Republik Österreich, 44 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über Hitler. Unvorstellbar?

Am 13. Juli 1989 trafen sich der Vorsitzende der "Demokratischen Partei der Kurden Irans", Abdul Rahman Ghassemlou, sein Stellvertreter sowie der österreichische Kurde Fadel Rasoul in einer Wohnung im 3. Wiener Gemeindebezirk Emissäre des Teheraner Regimes. Die Islamische Republik, seit ihrer Gründung 1979 mit den nach Autonomie ringenden Kurden auf Kriegsfuß, hatte zu geheimen Verhandlungen geladen. Die "Friedensgespräche" entpuppten sich jedoch als Kriegslist. Ein Mordkommando stürmte die Wohnung und tötete die drei Kurden.

Dann das Unvorstellbare: Die dringend Tatverdächtigen begeben sich in die iranische Botschaft, die Regierung in Teheran interveniert – und die mutmaßlichen Mörder dürfen Österreich unbehelligt verlassen. Einer von ihnen wird gar in Polizeibegleitung zum Flughafen Schwechat gefahren, um nach Teheran zu fliegen.

"Die Österreicher haben das gleich begriffen"

"Die Ermittlungsbehörden", so "Der Spiegel" vom 30. Juli 1990, "unterließen so gut wie alles, um das Blutbad [...] aufzuklären. Primitivste kriminalistische Grundregeln wurden verletzt, und die mutmaßlichen Mörder durften das Land ungestraft verlassen. Das alles auf Weisung von oben [...] Saharudi und Bosorgian [zwei der Tatverdächtigen] wurden nicht einmal – wie sonst jeder Eierdieb – erkennungsdienstlich behandelt: keine Fotos, keine Fingerabdrücke. Erst nach zwölf Stunden wurden an den beiden Iranern Schußhandprüfungen durchgeführt, zu spät, um feststellen zu können, ob sie [...] geschossen hatten."

Am 13. Juli 1989 wurden drei Kurden – darunter zwei Exilpolitiker – ermordet.
Foto: Apa/Robert Jäger

"Vom ersten Moment an", so der grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz, "wurde die Fahndung nach den Mördern von oben blockiert".¹ Mit "gutem Grund": Die Regierung in Teheran drohte Österreich mit dem Abbruch der hervorragenden österreichisch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen – und mit Konsequenzen für Österreicher im Iran: "Wir haben ihnen klargemacht, daß, wenn sie unsere Leute nicht schützen können, auch wir [die] Österreicher im Iran nicht schützen können. Die Österreicher haben das gleich begriffen"², erklärte ein damaliger hoher Beamter des iranischen Außenministeriums in unverblümten, an den Jargon der Mafia erinnernden, Worten.

Druckmittel dieser Art brachte das islamische Regime in Teheran auch gegen Regierungen anderer Länder in Stellung, in denen sie führende iranische Oppositionelle ermorden ließ. Im Fall der Kurdenmorde in Wien hatte der Iran aber noch einen anderen Trumpf in der Hand.

Aus Staatsräson mit dem Staatsterrorismus kooperiert

Wie Peter Pilz herausfand, war Mohammad Saharudi, einer der mutmaßlichen Mörder, Mitglied jener iranischen Delegation, die 1984 auf der Waffenmesse "Defendory" in Athen mit Vertretern der Waffenschmiede Noricum, einer Tochterfirma der krisengeschüttelten Voest, ein lukratives Geschäft angebahnt hatte: 1985 lieferte das neutrale Österreich, über das getarnte Empfängerland Libyen, 140 Artilleriegeschütze des Typs GHN-45 an den kriegführenden Iran – ein klarer Verstoß gegen das Kriegsmaterialgesetz. Es sei denn, man erachtet das Neutralitätsgebot dadurch als erfüllt, dass zuvor 200 Kanonen des selben Typs an den Irak, den Kriegsgegner Irans, verkauft worden waren.

Laut Pilz drohte der Iran nach den Kurdenmorden in Wien mit der Veröffentlichung von neuem Material in Sachen Noricum. Auch da "begriffen die Österreicher gleich" – und kooperierten aus "Staatsräson" mit dem Staatsterrorismus. Österreich, so das bittere Resümee von Pilz, sei "ein Rechtsstaat mit Vorbehalt"³.

Assassins of the Turquoise Palace

"Das gibt es nicht!", die Lautstärke meiner Stimme irritiert mich – und die distinguierte Dame, Typus Hofratswitwe, neben mir. Ihren Blicken ist ihr Impuls, sich wegzusetzen, deutlich anzusehen. Geht aber nicht – die Buslinie 13A ist wieder einmal gesteckt voll. Ich habe für den Impuls der Distinguierten volles Verständnis, und setze die Lektüre des spannendsten Buches, das ich je in der Hand hatte, fort. Mit dem Vorsatz, im Falle weiterer Überraschungen Ausrufe des Staunens zu unterlassen.

Assassins of the Turquoise Palace (Die Meuchelmörder vom Türkispalast)⁴ handelt vom sogenannten Mykonos-Attentat. Am 17. September 1992 hatte die Islamische Republik Iran drei Kurdenführer und einen iranischen Oppositionspolitiker im Berliner Restaurant Mykonos hinrichten lassen. Roya Hakakian⁵, die in den USA lebende, englisch schreibende Autorin des Buches, hatte ich wenige Tage zuvor auf einer Tagung in Berlin kennengelernt, wo sie über die Jahrtausende alte Geschichte der Juden im Iran referiert hatte.

"Das gibt es nicht!", wiederholte ich, jetzt in Gedanken, um das Ruhebedürfnis der Hofrätin nicht zu stören. "Das gibt es nicht!" – ich war in diesem Buch der Überraschungen auf einmal Parvis begegnet, einem anderen neu gewonnenen Freund, den ich auf derselben Tagung kennengelernt hatte, unabhängig von Roya, und ohne zu ahnen, dass auch er mit "Mykonos" zu tun haben könnte.

Dastmalchi, diesen für Deutschsprachige beinah unaussprechlichen Familiennamen von Parvis würde ich am liebsten verschweigen. Schon die Vorstellung, der Name meines Freundes könnte das Objekt liebloser Verballhornungen werden, kränkt mich – und diese mir unverständliche Gefühlsreaktion kann ich nur mit der Bewunderung und Achtung erklären, die ich seit der Lektüre dieses außergewöhnlichen Buches für diesen außergewöhnlichen Menschen empfinde. (Sama Maani, 28.3.2017) 

Fortsetzung folgt.

¹ Großer Kämpfer, Der Spiegel, 30. Juli 1990
² Ebd.
³ Einfach vertuscht (Focus)
⁴ Siehe auch die Blogbeiträge Nachts über den Dächern von Teheran sowie Iran: Der Todestrieb der Revolution.
⁵ Roya Hakakian, Assassins of the Torquoise Palace, New York 2011.

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