Wolfgang Sobotka erfüllt seine Pflicht.

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Hans Peter Doskozil will Sobotka von dieser befreien.

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Wien – Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hält den Prozess der "Relocation" von Flüchtlingen zwar für falsch, wie er am Montag neuerlich betonte, will die Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland aber dennoch starten – und zwar gegen die Bedenken der SPÖ. "Wir beginnen den Prozess", sagte Sobotka am Montag vor Beginn des EU-Innenministerrats in Brüssel, "Österreich ist verpflichtet, das umzusetzen".

Ist es nicht, kontert Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ). Österreich könne seinen EU-Partnern einfach sagen, "wir übernehmen niemanden aus Italien und Griechenland, weil unserer Ansicht nach die Verpflichtung bereits übererfüllt ist", erklärte Doskozil am Montagnachmittag auf Anfrage des STANDARD.

Mit Kern abgesprochen

Mit Bundeskanzler Christian Kern ist diese Position abgesprochen, Österreich wolle das Relocation-Programm nicht umsetzen, da man bereits überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufgenommen habe. Ein weiterer Aufschub sei daher gerechtfertigt.

Im konkreten Fall geht es um 50 unbegleitete Minderjährige aus Italien. Insgesamt umfasst das Abkommen 462 Personen, die Österreich aus Italien übernehmen müsste; dazu kommen weitere 1.491 Personen, die von Griechenland nach Österreich übersiedelt werden sollten.

Kern machte in einem Interview Sobotkas Innenministerium für die aktuelle Situation verantwortlich. Man habe in der Vergangenheit eine Ausnahmeregelung gehabt, nach der Österreich nicht Zielland der Relocation war. Diese sei von der früheren Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), der Amtsvorgängerin Sobotkas, rechtzeitig beantragt worden. "Das ist jetzt in der weiteren Folge nicht mehr passiert, jetzt muss die österreichische Bundesregierung schauen, wie sie damit umgeht."

Er sei dafür, dass Österreich diese Ausnahmeregelung wieder beanspruche. "Das Programm ist ja eines, das die EU sich wohlüberlegt hat. Wir sind nur der Auffassung, das Österreich bereits einen großen Beitrag geleistet hat." Darauf reagierte am Abend wiederum Sobotka. Die "Unterstellung" Kerns sei "schlichtweg falsch".

Kontakt mit Sobotka

Jetzt liegt es an Doskozil, mit Sobotka Kontakt aufzunehmen und ein Einvernehmen herzustellen. Die SPÖ will mit Ministerratsbeschluss am Dienstag festlegen, dass Österreich keinen der 1.953 Flüchtlinge aufnehmen wird. Dafür würden die EU-Partner schon Verständnis haben.

Sobotka ortet eine "ungeheure Scheinheiligkeit" in der österreichischen Debatte. Es seien jedenfalls Beschlüsse einzuhalten. "Dass der Innenminister den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlässt, ist für mich undenkbar."

Vertragsverletzungsverfahren

Wenn die SPÖ am Dienstag im Ministerrat einen entsprechenden Antrag einbringt, das Relocation-Programm weiterhin auszusetzen, müsse laut Sobotka darin aber auch klar festgelegt werden, wer die Verantwortung dafür übernimmt, nämlich der Bundeskanzler. Kern selbst müsse beim Europäischen Rat einen solchen Beschluss durchsetzen und argumentieren. Erst dann fühle sich Sobotka von der Verpflichtung, die Flüchtlinge aufzunehmen, entbunden. Außerdem will Sobotka vor einem Beschluss im Ministerrat noch eine rechtliche Prüfung des Vorschlags, teilte er am Abend mit.

Der Innenminister beruft sich darauf, dass Österreich rechtlich verpflichtet sei, die Beschlüsse des Rates umzusetzen. Bei Verstoß drohe ein Vertragsverletzungsverfahren. Sobotka: "Wir sind auch vom Europäischen Rat, dem Kern angehört, dreimal aufgefordert worden, mit dem Prozess zu beginnen." Kern habe sich im Europäischen Rat kein einziges Mal gegen das Relocation-Programm ausgesprochen.

Doskozil argumentiert, dass Österreich keine Verpflichtung habe, die Flüchtlinge zu übernehmen. Denn Artikel 5 der Vereinbarung vom 22. September 2015 "zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland" sieht in seinem Absatz 4 vor, dass es einer Zustimmung des Umsiedlungsmitgliedsstaates bedarf, ehe umgesiedelt werden kann. Und diese Zustimmung könne Österreich ohne Verletzung seiner Pflicht zur Solidarität verweigern, lautet die SPÖ-Linie.

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Sobotka: "Ich wundere mich, dass mit mir persönlich kein Wort gesprochen wurde und warum ich das über die Medien erfahren muss." Eine endgültige Klärung, ob Österreich die Flüchtlinge aufnimmt oder sich verweigert, wird wohl erst am Dienstag im Ministerrat möglich sein.

Straches Wunsch erfüllt

Mit einer Verweigerung der Übernahmen von Flüchtlingen aus dem EU-Programm würde die Regierung auch einem Wunsch von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nachkommen: Noch vor Bekanntwerden der grundsätzlichen SPÖ-ÖVP-Einigung erklärte der Parteichef, Österreich habe "jedes Recht und vor allem die Pflicht", Stopp zum Relocation-Programm zu sagen. "Es reicht, wir nehmen keine Asylwerber und auch keine angeblich Minderjährigen mehr auf: SPÖ und ÖVP müssen endlich mit einer Stimme sprechen und für die Interessen der Österreicher eintreten", so Strache. (Conrad Seidl, Michael Völker, 27.3.2017)

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