Jetzt trifft es also Bogdan Roscic, den designierten Direktor der Wiener Staatsoper. Dissertation abgeschrieben! Stefan Weber, besessener Plagiatsjäger, stochert gern bei gesellschaftlichen Aufsteigern mit unkonventionellen Lebensläufen, insbesondere bei Kandidaten, die – erfolgreich – die Medienszene durchquert haben. Gelassenheit, Bogdan Roscic! Für die Leitung der Wiener Staatsoper braucht es Mut, Kreativität, Diplomatie, Führungsqualität, aber nicht unbedingt einen Doktortitel.

Mir geht es mit diesen Zeilen um meinen universitären Kollegen Kurt Rudolf Fischer, in einigen hämischen Kommentaren, da Roscics Doktorvater, "als eher leger" angeschwärzt.

Wie die Welt so spielt, saßen seinerzeit zwei alternde Professoren regelmäßig im Café Landtmann, vergnügt bei Kaffee und Croissants, ein Wort gab das andere, schließlich rückten wir zusammen und tratschten. Nicht über Philosophie, denn beim analytischen Wiener Kreis, in dessen kristallenen Denkräumen Fischer brillierte, konnte ich als Lateinamerikanist nicht mithalten. Aber wir schwelgten in unseren Gemeinsamkeiten: Beide hatten wir Boxerkarrieren hinter uns!

Ich als Student aktiv in der damaligen Universitätsturnanstalt (UTA), wo der kauzige Oberst Vrbancic uns alles Notwendige beibrachte, um durchs Leben zu kommen. "Kopfdeckung", schrie er immer, wenn mir im improvisierten Ring die Fäuste sanken, "Du brauchst Dein Hirn fürs Doktorat!". Recht hatte er. Immerhin schaffte ich 1962 die Wiener akademische Meisterschaft im Halbschwergewicht (was in meinem CV ohne Scham aufscheint).

Jüdischer Bub in Schanghai

Mein Kollege Fischer musste einen viel härteren Weg gehen. Als jüdischer Bub aus Wien konnte er 1938 fliehen, via Transsibirische Eisenbahn nach Schanghai, damals fast der einzige Ort auf dieser Welt, wo man ohne Visum eintauchen konnte. Aber wie dort überleben? Als drahtiger Bursch lernte er ein wenig boxen, genug, um in lokalen Turnieren für Geld aufzutreten. Es reichte fürs Überleben. Einmal, so seine Erzählung, von einem chinesischen Polizisten, da ohne Ausweis, verhaftet, konnte er sich dank seiner lokalen Berühmtheit freireden.

Man kann sich vorstellen, dass wir Adorno-Interpretationen leger links liegen ließen und über Autoren palaverten, die literarisch übers Boxen schrieben. Brecht fiel bei uns durch. In die Quali-Endrunde rückten auf Joyce Carol Oates (Über Boxen) sowie Robert Lowy (Tag, Fremder). Unentschieden, urteilten wir.

Um das Universitäre nicht ganz zu vernachlässigen, planten wir ein gemeinsames Seminar über jüdische Emigration 1938 an exotische Orte, ich über "Sosua" in der Dominikanischen Republik, er natürlich über Schanghai als Zufluchtsort. Indes, seine schwindende Gesundheit ließ Fischer, unorthodoxer Honorarprofessor der Universität Wien, vorzeitig in die USA zurückkehren, wo er, im Jahr 2014, 92-jährig verstarb.

Friede seiner Asche!

(Gerhard Drekonja-Kornat, 27.3.2017)