In Minsk eskalierten die Demonstrationen am Samstag: Hier werfen Polizisten während Festnahmen gerade eine Frau zu Boden.

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Die Mauer der Polizisten ist undurchdringlich. Eine Front aus Helmen, Sturmhauben, Knüppeln und Schildern. Wer diesseits der Absperrung ist, ist eingekesselt. Schon fahren wenige Meter entfernt die Awtosaki, die berüchtigten Gefangenentransporter mit den vergitterten Fenstern, vor. Wo sie halten, stieben die Menschen auseinander. Doch wen die Sonderpolizei zu fassen bekommt, wird in die Transporter gezerrt und abgeführt. Ein Mann, der sich wehrt, fällt zu Boden.

Ausgerechnet an einem Tag mit Schneefall sollte der "Belarussische Frühling", wie die Oppositionsmedien die friedlichen Sozialproteste zuletzt bezeichnet hatte, vorerst beendet werden. Es sind brutale Szenen, die sich dieser Tage in Minsk abgespielt haben. Der für das Wochenende geplante Protest in der Minsker Innenstadt anlässlich des traditionell von der Opposition gefeierten "Freiheitstages" war nur wenige Stunden davor von den Behörden verboten worden. Er wurde vom Sonderkommando der Polizei zerschlagen. Ursprünglich hatten sich die Proteste Mitte Februar an der sogenannten Sozialschmarotzersteuer entzündet.

Bürger, die im Jahr länger als sechs Monate ohne Beschäftigung sind, müssen neuerdings eine jährliche Gebühr von 180 Euro zahlen. Präsident Alexander Lukaschenko hat dem Druck der Straße zuletzt nachgegeben und angekündigt, die Steuer für dieses Jahr auszusetzen. Doch inzwischen haben sich die Proteste auch auf andere Forderungen ausgeweitet und richten sich immer direkter gegen Lukaschenko. "Wir kommen hier zu einer friedlichen Demonstration, und sie führen uns mit Polizisten ab?", schimpft Sofia, eine Rentnerin. "Lukaschenko hat uns betrogen. Er sollte besser herkommen und hören, was ihm das Volk zu sagen hat, anstatt uns tausende Bullen an den Hals zu jagen!"

Blutige Festnahmen

"Schande, Schande!", skandieren die Menschen am Straßenrand, als die mit Festgenommenen gefüllten Busse an ihnen vorbeifahren. In einem solchen Bus saß auch Juri Meljaschkewitsch. Bereits auf dem Weg zu den Protesten war der Politiker der Oppositionsbewegung "Für die Freiheit" von der Polizei festgenommen worden. "Es wurden aber auch Passanten mitgenommen, die nichts mit den Protesten zu tun haben", erzählt Meljaschkewitsch. Auf der Polizeiwache habe er Menschen gesehen, die blutig geschlagen worden seien. Im Internet kursieren Videos von brutalen Festnahmen. Heute, einen Tag nach den Massenfestnahmen, sitzt der 36-Jährige wieder in einem Minsker Innenstadtcafé.

Der Politiker hatte sich eigentlich schon auf mehrere Tage Haft eingestellt und war überrascht, dass er schon nach wenigen Stunden freigelassen wurde – ohne Erklärung der Polizei. 200 Menschen wurden bereits im Vorfeld der angekündigten Proteste am Wochenende im ganzen Land festgenommen, bei den Protesten am Samstag sollen allein in Minsk 700 Menschen von der Polizei abgeführt worden sein.

Der Oppositionspolitiker Mikalaj Statkewitsch, der bei den Protesten eine Führungsrolle einnehmen sollte, war gar drei Tage lang verschwunden. Am Montag wurde bekannt, dass er in einem Gefängnis des Geheimdienstes KGB festgehalten wurde. Dieser hatte zuvor wiederholt dementiert, etwas mit seinem Verschwinden zu tun zu haben. Es sind die schlimmsten Repressionen seit dem Jahr 2010, als Demonstranten am Wahlabend der Präsidentschaftswahl brutal von der Polizei niedergeknüppelt und hunderte Menschen festgenommen worden waren.

Infolge der Repressionen hatte die EU damals Sanktionen gegen das Regime Lukaschenko verhängt. Seit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass hatte es eine Annäherung zwischen Minsk und Brüssel gegeben. Vor einem Jahr hat die EU die Sanktionen aufgehoben, nachdem Lukaschenko zuletzt alle politischen Inhaftierten freigelassen hatte. Derartige Repressionen "stehen im Widerspruch zur Demokratisierung und zu den internationalen Zusagen, zu denen sich Belarus verpflichtet hat", so die EU in einem aktuellen Statement. (Simone Brunner aus Minsk, 27.3.2017)