Monika Willi, Glawoggers langjährige Cutterin.


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Wien/Graz – Einfach losfahren, in einem roten VW-Bus einmal um die Welt, so stellte man sich das als Laie vor. Michael Glawoggers unvollendet gebliebener Reisefilm – er verstarb während des Drehs im April 2014 – hatte kein aufgepfropftes Thema, kein anderes Sujet als das Reisen selbst. Von Norden nach Süden fahrend (und dann wieder zurück), wollte der Filmemacher, wie er einmal sagte, am liebsten den Glücksfall herausfordern. Gemäß der Maxime, dass der beste Dokumentarfilmer der ist, der die Realität wie einen Dieb beim Einbrechen erwischt.

Strandfußball geht mit Handicap nicht weniger rasant: Michael Glawoggers und Monika Willis Dokumentarfilm "Untitled" ruht immer wieder auf dem Schauspiel der Körper und schaut ihnen bei der Bewegung zu.
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Doch natürlich braucht selbst ein Projekt, das unter der Flagge "Film ohne Namen" aufbricht, Planung – zumal, wenn es nach Afrika geht. Personen, die Papiere besorgen, vor Ort die Lage checken, Schauplätze suchen – beim Film nennt man sie Fixer. "Hinauszuziehen in die Welt, das war sein Credo, sein erklärtes Ziel", sagt Monika Willi, Glawoggers langjährige Cutterin im Standard-Gespräch, die aus dem rund 70-stündigen Material einen bemerkenswerten Film montiert hat. "Das bezieht auch die Idee des Scheiterns mit ein. Umso mehr braucht man Leute, die verstehen, was man will. Michael hat oft geflucht über unfähige Fixer, die einen zu Schauplätzen bringen, zu denen sie auch jedes x-beliebige Fernsehteam führen."

In dieser Ablehnung des tausendmal Gesehenen offenbaren sich Glawoggers Abenteurersinn und Forschergeist. Wie kann man sich ein Bild von der Welt machen, das dem Betrachteten so viel Freiheit wie möglich lässt? Untitled, wie sich Willis in assoziativen Bögen voranschreitender Film nennt, wird diesem Anspruch gerecht, indem er der Eigentlichkeit der Bilder Vorrang gibt. Angefangen von den kriegsversehrten Rohbauten im Balkan wird man als Zuschauer selbst zum Reisenden auf der Suche; und das Reisen wird, über die zugesprochenen Tagebucheintragungen des Regisseurs (Stimme: Birgit Minichmayr), selbst zum Reflexionsthema, zum Kino im Kopf.

Körper im Sand

Menschen und ihre Körper (und nicht so sehr Landschaften) bilden die Leitlinien des Films, vor allem in den Szenen aus Westafrika. Seien es Wrestler, die im Sand trainieren – was beim Hinfallen schöne Farbabdrücke auf Rücken und Beinen hinterlässt -, seien es körperlich behinderte Fußballer am Strand, sei es ein gewaltvolles Erniedrigungsritual bei einer Wasserstelle; stets ist es die Physis, die von den Grenzen der eigenen Möglichkeiten wie vom Streben nach neuen Herausforderungen erzählt.

Wobei "erzählen" schon zu viel ist. "Michael hat immer gesagt: ,Ich will keine Erzählung, ich will Handlung'", so Willi. "Es gab ein langes Telefonat darüber. Er wollte es auf keinen Fall so geschnitten haben, dass ein Mensch von A nach B geht." Bei den Körperszenen sei es mehr um "den Kampf als solchen" gegangen, "zuerst als Training, dann in der Nacht. Der Kampf steht für ein generelles Ringen, für Gewinnen und Verlieren, für Spiel und Ritual."

Es sei auch einer der Unterschiede zu seinen früheren Dokumentarfilmen, zu Megacities oder Workingman's Death, dass man die Orte diesmal nicht genau fassen, sich (noch) mehr Momenten hingeben kann. Oft auch mit Tieren wie bei einer unüblich langen Szene mit Eseln, die zu ihrem Ärgernis auf einem staubigen Platz festgebunden sind. Oder in den Nachtaufnahmen aus Freetown, wo sich die Musik von Wolfgang Mitterer mit dem Lärm der Straßen zu einem Großstadtklangraum vermischt.

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Untitled – und das macht den Film so eindringlich – greift zugleich zwei Bewegungen auf: eine begleitet den Blick des Reisenden, während sich die zweite von Glawogger schon ein Stück entfernt und bereits seiner Art, die Welt zu betrachten, Reverenz erweist. Anfangs habe Willi das Schneiden des Films noch als großen Druck empfunden: "Michael, der mir stets so viel Freiheit gelassen hat, ist mir plötzlich wie ,ein Toter im Gnack' gewesen." Dann sei daraus aber auch eine mögliche Form der Trauerarbeit geworden. "Sich von einem Menschen über das, was er gemacht hat, verabschieden zu können, ist eine große Hilfe."

Im Film selbst gibt es eine Passage, in welcher der Reisende davon berichtet, dass er gerne in der Ferne bleiben, in der Fremde verschwinden würde. Es ist nicht das Ende des Films. Der geht weiter und entkoppelt sich noch mehr von realen Sicherungen als schon davor. Wie in Glawoggers Hotelzimmer-Buch ist es nicht weit zum Traum. Oder zu seinem persönlichen Paradies, das er in einem Weihnachtsfest in Albanien zu finden glaubte. "Ich glaube, es war ihm ein Anliegen zu sagen, dass die Welt viel größer ist, als wir vermeinen", sagt Willi, "und oft auch ganz anders, als wir glauben." (Dominik Kamalzadeh, 27.3.2017)