Fotomotiv Richard Windbichler.

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STANDARD: Die österreichische Liga gilt nicht als Sprungbrett für Südkorea – ist Richard Windbichler ein Abenteurer, oder war der Wechsel in erster Linie eine wirtschaftliche Entscheidung?

Windbichler: Ich bin nicht nur hier, um etwas von der Welt zu sehen. Ich habe mir hohe sportliche Ziele gesteckt, möchte mir im asiatischen Fußball einen Namen machen und mit Ulsan Erfolge feiern, am besten natürlich mit einem Titel. Der wirtschaftliche Aspekt ist natürlich ein Mitgrund, aber sicherlich nicht das alleinig Ausschlaggebende.

STANDARD: Wie ist der Wechsel eigentlich zustande gekommen?

Windbichler: Ich war im letzten Transferfenster im ständigen Austausch mit meinem Management, das Kontakte nach Südkorea pflegt. Ulsan Hyundai war auf der Suche nach einem Innenverteidiger. Mein Spielerprofil hat ihnen zugesagt. Ich wollte diesen Wechsel unbedingt, und mir war bewusst, dass es eine große Umstellung wird. Aber wie sehr anders es wirklich sein wird, habe ich erst in den ersten Tagen vor Ort realisiert.

STANDARD: Ulsan gilt als Hafen- und Industriestadt. Klingt nach rauchenden Schornsteinen. Wie lebt es sich dort?

Windbichler: Mein Appartement befindet sich fünf Minuten entfernt vom Strand und 20 von Downtown, dementsprechend bekomme ich von rauchenden Schornsteinen nichts mit. Die Strandlandschaft ist top, viele Coffeeshops und Restaurants entlang des Strandes mit herrlicher Aussicht aufs Meer. Es könnte mir schlechter gehen.

STANDARD: Stellt Ihnen der Verein eine Wohnung zur Verfügung?

Windbichler: Unser Hauptsponsor Hyundai ist in Ulsan auch für Schiffsbau zuständig. Dementsprechend arbeiten am Hafen auch viele Ausländer. Aus diesem Grund hat Hyundai einen "Foreigner Compound" errichtet. Das ist eine eigene Siedlung, die nur von bei Hyundai angestellten Ausländern bewohnt wird. Ich wohne in einem Top-Appartement mit drei Schlafzimmern. Perfekt für Besuch aus der Heimat.

STANDARD: Was sticht ins Auge, wenn man die Straßen entlangschlendert und die Menschen beobachtet?

Windbichler: Ich könnte nach zwei Monaten eigentlich schon ein Buch schreiben. Straße ist zum Beispiel ein gutes Stichwort: Die Autofahrer hier sind unberechenbar. Zebrastreifen haben keine Bedeutung, Fahrbahnmarkierungen sind nur Dekoration, und eine eingeschaltete Warnblinkanlage bedeutet: Mein Auto parkt jetzt hier, egal wo es gerade steht. Dann gibt es auch unendlich viele kleine und ganz schmale Seitengassen, die ich so bis jetzt nur aus Filmen gekannt habe.

STANDARD: Und die Menschen?

Windbichler: Respekt ist das oberste Gebot aller Südkoreaner. An meinem ersten Tag in unserem Klubhaus ist mir die U15-Mannschaft entgegengekommen. Als sich auf einmal einer nach dem anderen vor mir verbeugt hat, bin ich mir vorgekommen wie ein König. Koreanisch lesen kann ich zwar bereits, oder nennen wir es koreanisches Entziffern. Das Problem ist, dass in den meisten Fällen das Wort in unserer Sprache keine Bedeutung hat.

STANDARD: Zahlt es sich überhaupt aus, Sprache und Schrift zu lernen, oder denkt man sich als Profi: "In zwei Jahren bin ich eh wieder weg"?

Windbichler: Das ist eine gute Frage, die ich mir selbst auch schon gestellt habe, vor allem weil man diese Sprache nicht gerade im Handumdrehen lernen kann. Aber hauptsächlich geht es mir um Folgendes: Jeder im Verein und auch Fremde respektieren es enorm, wenn man es zumindest versucht. Und ich möchte ja auch Freundschaften mit den Koreanern aufbauen und eine gute Zeit haben. Da ist es auf alle Fälle hilfreich, wenn man einen gewissen Wortschatz hat.

STANDARD: Sie sind einer von vier Legionären im Kader von Ulsan. Wie kommunizieren Sie mit den Mitspielern? War Ivan Kovacec, der ja selbst einige Zeit in Österreich gespielt hat, ein Integrationsfaktor?

Windbichler: Wir Ausländer reden untereinander Englisch. Jeder beherrscht die Sprache, das funktioniert problemlos. Mit den Koreanern unterhält man sich mit Händen und Füßen. Bei jedem Training folgt uns ein Dolmetscher, der auch menschlich top ist und mit uns viel unternimmt. Es ist ganz witzig zu sehen, wie man trotz Sprachbarrieren Freundschaften knüpfen kann. Und ja, Kovacec war gerade zu Beginn eine enorme Hilfe. Er hat mir alles gezeigt und mich immer überall hin mitgenommen.

STANDARD: Wie läuft es kulinarisch?

Windbichler: In meiner ersten Woche habe ich gleich einmal ein Kilo verloren, frei nach dem Motto "Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht". Mittlerweile habe ich mich schon an das Essen hier gewöhnt, und außerdem gibt es ja auch einige Lokale mit internationaler Küche. Prinzipiell essen Koreaner immer sehr scharf, und Reis gibt es zu jeder Mahlzeit, auch zum Frühstück.

STANDARD: Schon einmal Heimweh gehabt?

Windbichler: Ja, in meiner ersten Woche. Um ehrlich zu sein, ziemlich stark sogar. Ich hatte Zweifel, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Aber spätestens nach meinem ersten Pflichtspiel war ich hier angekommen. Mein Verhältnis zu Spielern und Trainer ist sehr gut, und ich fühle mich mittlerweile schon richtig wohl hier.

STANDARD: Was sind Ihre Eindrücke vom Verein – wie sind die Trainingsbedingungen, die Infrastruktur, das Umfeld?

Windbichler: Alles ist hier top. Der Verein hat ein Klubhaus. Jeder Spieler hat ein Zimmer. Fitnessraum, Wellnessbereich, Aufenthaltsraum mit Billard und Tischtennis, fehlen tut es uns an nichts.

STANDARD: Sie erwähnen in Ihrem Vlog, dass der Fußball in Südkorea seine Eigenheiten hat. Welche zum Beispiel?

Windbichler: Der Fußball ist sehr schnell und kraftaufreibend. Man gönnt sich kaum Pausen, es gibt keine Spiele, wo man hinten den Ball hin und her schiebt. Man versucht immer, so schnell wie möglich nach vorne zu spielen. Und diese Koreaner, ich sage es Ihnen, die laufen wie Duracellhasen.

STANDARD: Ihr erstes Spiel war gleich ein Derby gegen Pohang.

Windbichler: Ja, vergleichbar mit Austria gegen Rapid. Nur dass es zu keinen Ausschreitungen kommt. Man verbeugt sich vor und nach dem Spiel, auch vor den gegnerischen Fans. In Österreich und Europa ist das undenkbar. Wenn man jemandem die Hand schüttelt, vor dem man Respekt haben sollte, dann fasst man sich mit der linken Hand an den rechten Unterarm und verbeugt sich ein wenig. Oder wenn es im Training Trinkpausen gibt und ein junger Spieler zuerst bei den Getränken ist, dann reicht er die Flaschen zuerst an ältere Spieler weiter, bevor er selbst trinkt.

STANDARD: In China locken sie Spieler aus Europa derzeit mit unmoralischen Angeboten. Gibt es Bestrebungen des südkoreanischen Verbands, sich am chinesischen Modell zu orientieren, den Fußball mittels "Befehl von ganz oben" aufzuwerten?

Windbichler: Nein, man kann die zwei Länder nicht miteinander vergleichen. Südkorea ist eindeutig die bessere Fußballnation. Die Chinesen versuchen mit diesen Hammertransfers das Niveau der Liga zu erhöhen. Aber ja, in China ist eindeutig eine Aufbruchsstimmung zu spüren. Unlängst hat die chinesische Fußballnationalmannschaft jene aus Südkorea mit 1:0 geschlagen. Es geht das Gerücht um, dass jeder chinesische Spieler dafür eine Prämie von 500.000 Dollar erhalten haben soll.

STANDARD: Welchen Stellenwert hat der europäische Fußball in Südkorea – verfolgen die Leute die europäischen Ligen? Kannte man Richard Windbichler schon?

Windbichler: Bei uns ist es 4.45 Uhr, wenn in Europa die Champions League startet, das macht es nahezu unmöglich, die Spiele live zu verfolgen. Aber über die Ergebnisse wissen immer alle Bescheid. Was ich so mitbekommen habe, sind die Südkoreaner sehr stolz auf ihre Spieler im Ausland, wie etwa auf Son bei Tottenham. Seine Spiele werden immer übertragen. Und nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass keiner meiner Mitspieler einen Spieler aus der österreichischen Liga kennt, außer natürlich Hwang von Salzburg.

STANDARD: Ulsan hat sich für die asiatische Champions League qualifiziert. Sie waren sogar im Team der Runde neben großen Namen wie dem ehemaligen Chelsea-Spieler Oscar. Ist das Drumherum vergleichbar mit dem europäischen Pendant?

Windbichler: Nein, mit der Uefa Champions League ist es nicht vergleichbar, allein wenn man die Zuschauerzahlen betrachtet. Man muss schon die K.-o.-Phase erreichen, um das Stadion voll zu bekommen. Aber nichtsdestotrotz ist es toll, in die jeweiligen Länder zu reisen und sich mit Vereinen aus anderen Nationen zu messen. In Kashima, Japan, gab es vor dem Spiel im Hotel ein richtig heftiges Erdbeben.

STANDARD: Das Stadion von Ulsan fasst 44.100 Zuschauer, im Schnitt kommen rund 9.000. Die Kulisse ist in etwa vergleichbar mit Austria-Spielen im Happel. Wie ist die Fansituation in der K-League?

Windbichler: Spiele unter der Woche sind leider nur sehr mager besucht. Vielleicht aufgrund der Arbeitssituation. Alle Läden haben hier bis mindestens 21 Uhr geöffnet. Was die Fans betrifft, es wird 90 Minuten getrommelt, was das Zeug hält, und umso näher es dem Tor geht, desto lauter wird es.

STANDARD: Südkoreas Präsidentin wurde erst kürzlich des Amtes enthoben, davor gab es heftige Proteste gegen sie auf den Straßen, dazu der bestehende Konflikt mit Nordkorea. Wie nehmen Sie die Ereignisse wahr?

Windbichler: Im Alltag kriege ich davon absolut nichts mit. Alles ist sehr friedlich hier, und ich mache mir auch keine Sorgen, dass sich das ändern sollte.

STANDARD: Zum Abschluss ein Rückblick: Warum wurden Sie bei der Austria nicht glücklich?

Windbichler: Wenn du nicht über die Rolle eines "In-out-Spielers" hinauskommst, ist das für mich absolut nicht zufriedenstellend. Zu sehen, wie die Mannschaft in der Euro-League gegen Trnava und Rosenborg große Erfolge feiert, und man selbst einfach null Komma null dazu beiträgt, das war für mich unglaublich frustrierend. Es mag vielleicht egoistisch klingen, und natürlich ist mir auch klar, dass der Erfolg der Mannschaft über allem steht, aber was soll ich sagen. So sah es für mich nun mal aus. (Paul Buchinger, 28.3.2017)