Michael Häupl (rechts) braucht die Relocation-Debatte, die Kanzler Christian Kern und sein Verteidigungsminister zuletzt befeuerten, so gar nicht.

Foto: apa

Bild nicht mehr verfügbar.

"Da geht es nicht mehr um Fakten, sondern nur noch um Gespenster", findet Josef Weidenholzer.

Foto: reuters

Für Eugen Freund gilt: Verträge sind einzuhalten.

Foto: apa

Nurten Yılmaz schließt sich inhaltlich Freund an.

Foto: apa

Julia Herr vermisst die Solidarität in der SPÖ.

Foto: cremer

Wien – Von interner Kritik an der verschärften Flüchtlingspolitik der Regierung war im letzten Jahr nicht mehr viel zu hören. Ebenso wenig vom sogenannten "Team Haltung", das innerhalb der SPÖ federführend an der Demontage von Werner Faymann beteiligt war. Der rote Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil hat es nun geschafft, dass wieder konträr über das Asylthema diskutiert wird.

Wiens Bürgermeister Michael Häupl machte am Dienstag klar, dass er wenig von Doskozils Vorschlag hält, sich vom Flüchtlingsumverteilungsprogramm der EU zu verabschieden. Der Minister hatte am Montag verkündet, Österreich solle aus dem Relocation-Programm aussteigen – und hatte dafür die Unterstützung von Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern bekommen.

An geltende Beschlüsse halten

Jüngster Anlassfall waren 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die Österreich aus Italien übernehmen sollte. "Die 50 nehme ich sofort in Ottakring", kommentierte Wiens Bürgermeister Michael Häupl im Gespräch mit dem STANDARD süffisant. Insgesamt geht es um 1.953 Flüchtlinge, die Österreich aus Griechenland und Italien im Zuge des Umverteilungsprogramms aufnehmen soll. Das habe laut Häupl auch zu passieren. "Wir haben uns an geltende Beschlüsse zu halten", machte er klar.

Er unterstütze zwar den Vorstoß Kerns, die EU darauf hinzuweisen, welche Herausforderungen Österreich in der Flüchtlingskrise bereits bewältigt habe. Häupl verwies darauf, dass die Republik die drittmeisten Flüchtlinge in der EU pro Kopf – also auf die Einwohnerzahl gerechnet – aufgenommen habe. Gleichzeitig kritisierte er aber auch den Kanzler indirekt: Man könne sich nicht "sang- und klanglos" von EU-Beschlüssen verabschieden.

Aufnehmen und integrieren

Die zuständige Wiener Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) ließ über ihr Büro ausrichten: "Wien wird zu seiner Verpflichtung und zu den Beschlüssen stehen." Die zugeteilten Flüchtlinge seien aufzunehmen und zu integrieren.

Auch im EU-Parlament sorgen Doskozil und Kern für Irritationen: In Brüssel werde er in letzter Zeit oft auf Österreichs Vorgehen in puncto Flüchtlingspolitik angesprochen, sagt der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer im STANDARD-Gespräch. "Viele, die Österreichs Politik als positiv wahrgenommen haben, empfinden diese Signale als völlig verstörend."

Schwer nachvollziehbar

Der neueste Vorstoß der Kanzlerpartei, sich aus der österreichischen Verpflichtung zur Aufnahme eines winzigen Kontingents von Flüchtlingen zu verabschieden, könnte die Verwunderung in Brüssel noch anheizen. Von außen betrachtet sei Österreichs Politik schwer nachzuvollziehen, meint EU-Abgeordneter Weidenholzer: "In Österreich bricht immer gleich eine Riesenhektik über Befindlichkeiten aus. Konflikte werden immer auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen." Die Politik tue so, als wäre das Flüchtlingsproblem das größte Problem des Landes. "Da geht es nicht mehr um Fakten, sondern nur noch um Gespenster."

Das sei vor allem deshalb "absurd", weil die Leistungen der österreichischen Zivilgesellschaft in der Flüchtlingskrise EU-weit als vorbildhaft wahrgenommen wurden. "Jetzt stellt man sich unter das Stockerl, auf dem man eigentlich draufstehen sollte", meint Weidenholzer.

Vernünftiger Schritt

Auch sein Kollege im EU-Parlament, Eugen Freund, verweist darauf, dass Verträge einzuhalten seien. "Wir können nicht anderen vorhalten, dass sie sich nicht an Vereinbarungen halten, wenn wir es selber nicht tun", meint der SPÖ-Mandatar. Dass sich Kern nun mit der EU-Kommission koordinieren will, begrüßt er. "Das war der vernünftigste Schritt von allen in den letzten 24 Stunden", lässt auch er Unzufriedenheit über die jüngsten Entwicklungen erkennen.

Die rote Integrationssprecherin im Parlament in Wien, Nurten Yılmaz, will den Erklärungen der zuständigen Minister und der Klubvollversammlung nicht vorgreifen. Dennoch findet auch sie die laufende Diskussion um die 50 unbegleiteten Flüchtlinge "komisch". "Österreich hat viel geleistet, das ist nicht das Problem", erklärt sie. Jedoch könne man unsolidarische Staaten nicht dazu bewegen, mehr zu leisten, indem man selbst keine Flüchtlinge mehr aufnimmt. "Verträge müssen eingehalten werden, auch wenn sie faul sind, dazu stehen wir."

Solidarität fehlt

Für die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, zeigt die derzeitige Situation, wie innerhalb der Europäischen Union mit geflüchteten Menschen umgegangen wird, klar auf, "woran es am allermeisten innerhalb der EU fehlt: der Solidarität". Eine solidarische Lösung müsse eine gemeinschaftliche Finanzierung der EU-Länder und die freie Wahl des Landes durch die Flüchtlinge beinhalten. "Davon ist Europa jetzt schon meilenweit entfernt", so Herr.

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil in der "ZiB 2" zur Relocation-Vereinbarung.
ORF

Zu ihrem Parteikollegen hält sie fest: "Selbst den europäischen Minimalkonsens konterkariert Doskozil nun auch noch mit seiner Weigerung, am Relocation-Programm teilzunehmen." Wer sich innerhalb der EU für eine gemeinschaftliche Lösung einsetze, müsse die Solidarität nicht nur einfordern, sondern sie auch leben, sonst mache man sich unglaubwürdig. Angesichts der katastrophalen Zustände in den überfüllten Lagern Südeuropas ist Herr die erneute Jagd nach Schlagzeilen ein Dorn im Auge, "der auf Kosten von ohnehin bedürftigen Menschen geht".

Karas enttäuscht

Aber auch in der ÖVP gibt es Kritik. Innenminister Wolfgang Sobotka hatte zuletzt gemeint, er fühle sich zwar an EU-Beschlüsse gebunden, in der Sache würde aber auch er am liebsten vom Relocation-Programm abgehen. "Ich bedaure die Positionsänderung in den letzten Stunden", deponierte der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, auf Anfrage. Das stärke Österreichs Glaubwürdigkeit nicht. "Österreich sollte immer auf der Seite der Einhaltung von Recht, Werten und Beschlüssen stehen", sagte Karas. (krud, go, sterk, mte, 28.3.2017)