Auch Medikamente lassen sich "recyceln", wie eine Schweizer Studie zeigt.

Foto: wikipedia/Patrik Nylin/[cc;4.0;by]

Das Multiple Myelom ist eine der häufigsten bösartigen Erkrankungen des Blut- und Lymphsystems. Trotz großer Fortschritte in der Myelomtherapie in den vergangenen Jahren kann die Krankheit meist nicht geheilt werden, auch wenn sie in der Regel im Anfangsstadium durch moderne Therapeutika recht gut beherrscht werden kann. Die überwiegende Mehrzahl der Myelompatienten verstirbt nach einigen Jahren nach verschiedenen medikamentösen Therapien, sobald die Erkrankung nicht mehr auf die verfügbaren Medikamente anspricht.

Die Lage ist besonders prekär, wenn die Zellen resistent gegenüber sogenannten "Proteasom-Inhibitoren" werden, einer seit zehn Jahren verfügbaren Medikamentenklasse mit besonders guter Wirksamkeit beim Multiplen Myelom. In dieser Situation beträgt die zu erwartende durchschnittliche weitere Lebensdauer weniger als ein Jahr.

Die Arbeitsgruppe für Experimentelle Onkologie und Hämatologie am Kantonsspital St. Gallen in der Schweiz sucht seit einigen Jahren nach alternativen Möglichkeiten, solche therapieresistenten Myelomzellen wieder empfindlich für eine Therapie zu machen. Dabei setzt sie nicht auf die Entwicklung neuer Substanzen, sondern darauf, Medikamente, die seit langem erfolgreich für die Behandlung anderer Krankheiten eingesetzt werden und die daher "sicher" sind, für die Krebstherapie zu nutzen.

Neue Wirkmechanismen

Solche Medikamente sollen für die Krebstherapie "recycelt" werden, indem man bei ihnen mit Hilfe moderner molekularer Methoden neue Wirkmechanismen offenlegt, die sich für die Tumortherapie nutzen lassen. Die Gruppe hat dabei vor einigen Jahren in Laborversuchen Nelfinavir als ein Medikament identifiziert, mit dem man die Proteasom-Inhibitor-Resistenz bei Myelomzellen überwinden kann.

Nelfinavir-Kapseln waren über viele Jahre ein Standardmedikament zur Behandlung der HIV-Infektion, bevor das Mittel durch wirksamere HIV-Medikamente der nächsten Generation vom Markt verdrängt wurde. Nelfinavir besitzt mittlerweile keinen Patentschutz mehr, ist damit kommerziell uninteressant und wird von der Industrie nicht mehr erforscht.

Gemeinsam mit der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) hat die St. Galler Gruppe kürzlich eine klinische Testung einer Therapie mit Nelfinavir bei Myelompatienten in der Schweiz vorgenommen. Die Ergebnisse der Studie zeigten ein Therapieansprechen bei 65 Prozent der Patienten, und damit eine deutlich höhere Rate an Wirksamkeit im indirekten Vergleich mit der aktuellen Standardtherapie oder auch zu den neuen Medikamenten der nächsten Generation.

Nicht bekannt ist jedoch, mit Hilfe welcher Mechanismen bzw. über welche molekulare Zielstruktur Nelfinavir zu diesem Therapieerfolg und dem Absterben der vorher resistenten Myelomzellen führt. Dies soll jetzt in Laboruntersuchungen ergründet werden. (red, idw, 29.3.2017)