Zahlreiche in Großbritannien lebende EU-Bürger blicken mit Ungewissheit auf die Zukunft der Insel, die nun offiziell den Austritt aus der EU eingeleitet hat.

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Der Antrag auf dauerhaften Aufenthalt der Deutschen Cathrin Cordes wurde unter kuriosen Umständen abgelehnt.

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Das Verhältnis von Cathrin Cordes zu ihrer Wahlheimat Großbritannien hat sich zuletzt stark verändert. Das liegt an einem formlosen Brief, den die 54-Jährige Anfang Februar von der Einwanderungsbehörde erhielt: Ihr Antrag auf dauerhaftes Aufenthaltsrecht war zurückgewiesen worden. "So eine Ablehnung ist sehr verletzend", berichtet die Volkswirtin und Schuldirektorin, die seit mehr als 20 Jahren in London lebt. "Man denkt ja gleich, man sei zu blöd gewesen, den Antrag korrekt auszufüllen."

Davon kann keine Rede sein: Ein unabhängiger Rechtsexperte hat ihr den Behördenfehler bestätigt, die örtliche Parlamentsabgeordnete nimmt den Fall zum Anlass für eine Regierungsanfrage. Cordes gehört zu einer Vielzahl von Fällen – einer Zählung der Liberaldemokraten zufolge mehr als ein Viertel –, bei denen die Bürokraten mit fadenscheiniger oder schlichtweg falscher Begründung Anträge ablehnen. Für die Deutsche war der negative Bescheid besonders bitter, weil zeitgleich ihr langjähriger spanischer Lebensgefährte und die beiden gemeinsamen deutsch-spanischen Söhne, 20 und 18 Jahre alt, das Aufenthaltsrecht erhielten. "Plötzlich bin ich rechtlich von der Familie abgeschnitten. Das ist nicht nur unglaublich fies, es stellt auch eine Diskriminierung unverheirateter Mütter dar."

EU-Ausländer als "wichtige Trumpfkarte"

Eigentlich hat sich der Status von bis zu vier Millionen Bürgern anderer EU-Staaten auf der Insel bisher in keiner Weise verändert. Viele Politiker, auch Premierministerin Theresa May, haben sich seit dem Referendum im vergangenen Juni immer wieder zur rechtlichen Absicherung der Betroffenen bekannt; allerdings verknüpft sie die Bleibegarantie auf der Insel mit dem Schicksal der rund 1,2 Millionen Briten, die im Rest der EU leben. Dezidierte EU-Feinde wie der Außenhandelsminister Liam Fox haben EU-Ausländer als "wichtige Trumpfkarte" für die Verhandlungen bezeichnet.

Kein Wunder, dass vielen Kontinentaleuropäern mit Blick auf die Zukunft mulmig zumute ist. Um ihren rechtlichen Status zu klären, beantragten viele eine Aufenthaltsgenehmigung, die im Rahmen der Personenfreizügigkeit bisher nicht notwendig war. Das entsprechende Formular kostet pro Person 65 Pfund (75 Euro) und umfasst 85 Seiten, auf denen jeder Auslands-, auch jeder Urlaubsaufenthalt der vergangenen fünf Jahre aufgelistet werden muss.

Allein im dritten Quartal 2016 verdreifachte sich die Zahl der Anträge bei einer personell unterbesetzten Behörde, die zudem als schlampig und inkompetent gilt. Die Folge: zunächst Wartezeiten von vier bis sechs Monaten. Und immer wieder wird Menschen, die teilweise seit ihrer Geburt mit niederländischem oder italienischem Pass auf der Insel leben, dort studiert und gearbeitet haben, der permanente Aufenthalt verweigert. Manche Bescheide enthielten sogar die Aufforderung, der Petent solle "die Ausreise aus dem Vereinigten Königreich" vorbereiten.

Familienantrag eingereicht

So schlimm ist es um Cathrin Cordes nicht bestellt, schlecht behandelt fühlt sie sich aber doch. Ausdrücklich hatte die Hotline sie im vergangenen Sommer zum Einreichen eines Familienantrags ermutigt, solange der Nachwuchs das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Familie lebt seit 1996 in London, die studierte Volkswirtin arbeitet als Übersetzerin und leitet die größte deutsche Samstagsschule in London, wo 190 Kinder auf Deutsch bis hin zum Maturaniveau unterrichtet werden.

Umso schockierender, dass es in der Ablehnungsbegründung hieß: Der Familienantrag gelte nur für Verheiratete, die eingereichten Papiere seien für Vater und Söhne, nicht aber für die Mutter ausreichend. Cordes hat gegen den Bescheid nun Einspruch eingelegt, wird sich aber mehrere Monate gedulden müssen: Erfahrungsgemäß kann die fällige Prüfung (Gebühr: 162 Euro) bis zu ein Jahr dauern. So lange muss die Deutsche nun auf jeden Fall warten, ehe sie die britische Staatsbürgerschaft beantragen kann.

Millionen betroffen

Solche und ähnliche Fälle bringt eine Lobbygruppe an die Öffentlichkeit, die sich in Anspielung auf die Zahl der Betroffenen "The 3 Million" nennt. Eine Erhebung des nationalen Statistikamts ONS, die auf Anmeldungen zur Arbeitslosenversicherung beruht, spricht von 3,2 Millionen Bürgern anderer EU-Staaten bei einer Gesamtbevölkerung von rund 65 Millionen Menschen. Allerdings wird dabei beispielsweise für Frankreich eine Zahl von 185.344 genannt; hingegen schätzt die französische Botschaft die Zahl ihrer Landsleute auf rund 300.000. Sollten ähnliche Dunkelziffern auch auf andere Nationen zutreffen, dürfte die Gesamtzahl also eher bei vier Millionen liegen. Polen stellten 2015 mit gut 900.000 Menschen die größte Einwanderergruppe, gefolgt von Iren, Rumänen und Portugiesen.

Wie manch andere Langzeitresidenten steht die Deutsche Cordes dem britischen Staat nun skeptischer gegenüber. Dafür freut sie sich über die große Hilfsbereitschaft, die ihr Fall im englischen Bekannten- und Freundeskreis ausgelöst hat: "Das finde ich natürlich sehr ermutigend." (Sebastian Borger aus London, 29.3.2017)