Die Kreideböden Südenglands waren schon immer perfekt für Schaumweine, nur das unbeständige Wetter nicht. Nun hilft die Klimaerwärmung nach.

Foto: Gerd Kressl

Es ist ein kühler, regnerischer Frühlingstag. Während anderswo in Europa die Sonne für milde Temperaturen sorgt, weht in der Grafschaft Sussex im Süden Englands ein eisiger Wind. Typisch britisches Wetter eben. Und doch beobachten Meteorologen seit den 1990er-Jahren auch hier einen deutlichen Anstieg der durchschnittlichen Jahrestemperatur. Schuld daran ist die Klimaerwärmung. Was unter Umweltexperten Besorgnis erregt, bringt für manche Briten Vorteile – vor allem für die wachsende Schar an Winzern in Südengland.

Weinanbau in England war bislang ein Lotteriespiel, ein ewiger Kampf gegen das unwirtliche Wetter. Nun sind die Sommer deutlich sonniger und wärmer – was die Trauben freut. Bis vor etwa 20 Jahren wagte es lediglich eine Handvoll hyperaktiver Pensionisten, trotz widrigster Bedingungen ein paar Rebzeilen mit mittelmäßigen deutschen Sorten anzubauen. Englischer Wein galt als eine Kuriosität, die nicht einmal stramme Patrioten begeisterte.

Rebflächen wachsen

Erst Mitte der 1990er begannen hochmotivierte Quereinsteiger Wein im großen Stil zu machen – und zwar Schaumwein. Statt Müller-Thurgau oder Reichensteiner, pflanzten sie nun Chardonnay, Pinot noir und Pinot Meunier, also jene Rebsorten, aus denen auch Champagner gemacht wird. Man wollte offensichtlich von Beginn an in der Sprudeloberliga mitspielen.

Ganz grundlos geschah das nicht: Die Grafschaften Sussex, Kent und Hampshire, wo die meisten Schaumweine produziert werden, verfügen zum Teil über eine ähnliche geologische Struktur wie die Champagne. Die begehrten Kreideböden, die als ultimative Voraussetzung für edlen Schaumwein gelten, verlaufen unter dem Ärmelkanal von Frankreich nach England.

Die Region lockt inzwischen eine Heerschar an Investoren an, die Rebfläche hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt: Laufend werden Apfelplantagen gerodet und mit Weinstöcken bepflanzt. Vermögende Unternehmer kaufen ganze Landstriche auf.

Önologisch unbeleckt

Auch wenn die Grundstückspreise in Südengland im Vergleich zur Champagne eine Mezzie sind, braucht es einiges an Kleingeld: Es dauert, bis die neugepflanzten Reben erntereif sind. Bis die ersten Flaschen in den Verkauf kommen, können Jahre vergehen. Da die meisten Investoren weintechnisch völlig unbeleckt sind, engagieren sie renommierte Önologen. Will man mit der Champagne mithalten, darf nichts dem Zufall überlassen werden. Und der ehrgeizige Plan scheint aufzugehen: Ausgerechnet jenes Land, dessen Wein das denkbar schlechteste Image hatte, avanciert nun zu einer der spannendsten Schaumweinregionen.

Mardi Roberts von Ridgeview Estate, einer der wenigen professionellen Winzerfamilienbetriebe Englands, erinnert sich an den Beginn: "Als wir unseren ersten Schaumwein auf den Markt brachten, war uns die Bezeichnung English Sparkling Wine im Grunde peinlich". Inzwischen ist es eine begehrte Marke geworden. Ein Kollateralnutzen des Klimawandels sozusagen.

Klima wie früher in der Champagne

Wegen des Golfstroms ist das Klima der südenglischen Küstenregionen ohnehin milder als jenes im restlichen Teil der Insel. Jetzt herrschen dort meteorologische Bedingungen wie früher in der Champagne. Steigen die Temperaturen in den nächsten Jahren weiter, könnte es für die Champagne eng werden. Die Burgundersorten für den berühmten französischen Sprudel mögen es nämlich lieber kühl. Nur so bleibt die markante Säure erhalten, die für elegante Schaumweine unabdingbar ist. Weinkenner prognostizieren englischen Schäumern jedenfalls eine große Zukunft.

Andrew Jefford vom renommierten englischen Weinmagazin "Decanter" sieht in der Schaumweinszene seiner Heimat die "weltweit vielversprechendste önologische Entwicklung dieser Epoche". Eine Einschätzung, die Gold wert ist, zählen doch britische Kritiker zu den einflussreichsten der Weinwelt: Ihr Urteil kann über Gedeih oder Verderb einer Region entscheiden.

Der Champagne auf den Fersen

Die neue Generation englischer Schaumweinproduzenten ist mittlerweile höchst professionell aufgestellt und der Champagne qualitativ dicht auf den Fersen. Einige haben bei internationalen Verkostungen bereits die Nase vorn – darunter das bekannteste englische Weingut Nyetimber, in West Sussex.

Ein holländischer Unternehmer hat das Gut vor einigen Jahren gekauft und auf stattliche 170 Hektar vergrößert. Mithilfe eines internationalen Önologenteams schaffte er es ganz an die Spitze und räumt eine Auszeichnung nach der anderen ab. Es sind komplexe und cremige Schaumweine, ganz im klassischen Stil der großen Champagnerhäuser. Nyetimber reüssiert zudem im Ausland. Für Hersteller englischer Schaumweine ist das noch immer eine Besonderheit.

Der große Star der Szene ist aber Dermot Sugrue. Der irische Önologe mischt gleich bei mehreren Weingütern erfolgreich mit. Unter seinem eigenen Label füllt er einen Schaumwein mit dem kryptischen Namen "The Problem With Dreams" ab. Die Cuvée aus den klassischen Champagnerrebsorten zählt derzeit zum Aufregendsten, was von der Insel kommt. Sugrues Schaumwein ist trocken, pur und absolut eigenständig. Er lässt die Grundweine erstmals auch im gebrauchten Holzfass reifen und verzichtet mitunter auf biologischen Säureabbau. In Sachen Eleganz kann er sich durchaus mit guten Winzerchampagnern messen. Vom "Decanter" wurde er jüngst zum besten Schaumweinmacher des Landes gekürt.

Englands Sprudel haben nur einen Makel: Sie sind teuer. Ob das auch der internationale Markt schluckt, bleibt abzuwarten. Dennoch hat das berühmte Champagnerhaus Taittinger kürzlich in Südengland knapp 70 Hektar Land erworben, und Pommery will nachziehen. Ein Ritterschlag für Englands Schaumweine. (Christina Fieber, RONDO, 15.4.2017)

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