Carnuntum/Petronell-Carnuntum– Im Zuge der Untersuchung des antiken römischen Militärlagers Carnuntum im heutigen Niederösterreich haben Forscher mit modernen archäologischen Prospektionsmethoden einen kompletten neuen Stadtteil entdeckt: Es handelt sich dabei um eine Vergnügungsmeile aus der frühen Zeit der einstigen Donaumetropole, sagte der Archäologe Wolfgang Neubauer bei einer Pressekonferenz.

Bei den seit 2012 laufenden, umfangreichen Erkundungen mit Magnetometern und Bodenradarsystemen stießen die Wissenschafter des Ludwig Boltzmann Institut (LBI) für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) in Zusammenarbeit mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) auf die bislang unbekannten Strukturen. Diese Methoden ermöglichen es, etwa Mauern bis in eine Tiefe von drei Metern sichtbar zu machen. Ohne eine einzige Grabung kam so unter anderem ein großteils aus Holz erbautes Amphitheater für ungefähr 13.000 Zuschauer sowie eine von Tavernen, Imbissstuben und Souvenirgeschäften gesäumte Straße, die zur Arena führte, zum Vorschein.

Das hölzerne Amphitheater dürfte 13.000 Zusehern Platz geboten haben.
Illustration: APA/LBI ARCHPRO, 7 REASONS

Außerhalb der Siedlung

"Diese Entdeckungen sind absolut überraschend", sagte Neubauer, der die Ergebnisse am Donnerstag zusammen mit der niederösterreichischen Landesrätin Petra Bohuslav (ÖVP) und dem wissenschaftlichen Leiter der Römerstadt Carnuntum, Franz Humer, vor Ort präsentierte. Ähnliche Bauwerke kenne man zwar schon von Überbleibseln anderer römischer Siedlungen, etwa in Pompeji. Eine solche Infrastruktur jetzt aber in Carnuntum so geballt zu finden, sei erstaunlich.

Die Geschäfte befanden sich alle auf nur einer Seite der Straße. "Vorne waren überall Verkaufslokale", so Neubauer. Das konnten die Wissenschafter aus den hochauflösenden Radardaten rekonstruieren. Der gesamte antike Freizeitbetrieb lag außerhalb der damaligen Siedlung, was verdeutlicht, dass diese Geschäfte in Verbindung mit dem vermutlich ersten Amphitheater in Carnuntum genutzt wurden.

Brot und Spiele

"Besonders wichtig war dort auch ein großer Getreidespeicher. Daneben lag ein Gebäude mit sehr komischen Strukturen", so der Archäologe. Dort fanden die Forscher starke magnetische Anomalien. Neubauer: "Das heißt, da ist massiv mit Feuer gearbeitet worden. Es befand sich dort also ein großer Backofen." Offenbar schätzten die zahlreichen Besucher der beliebten Gladiatorenspiele frisch gebackenes Brot.

Künstlerische Darstellung eines Speichergebäudes und des Backofens im Vergnügungsviertel von Carnuntum.
Illustration: APA/LBI ARCHPRO, 7 REASONS

Das zeige, dass es sich um ein eigenes Stadtviertel handelt, dessen wirtschaftliche Grundlage die Spektakel im Amphitheater waren. Die neu entdeckte Infrastruktur, die auch einen frei stehenden Tempel neben der Arena umfasste, wurde vermutlich um das 2. und 3. Jahrhundert genutzt.

Sicher ist, dass dieses Amphitheater der später errichteten Stadtmauer weichen musste, die dann direkt durch die Überreste der Arena führte. Wann die Mauer erbaut wurde, wisse man noch nicht genau. "Auf jeden Fall hat man dafür bestehende Strukturen entfernt", so Neubauer. Die bis dahin vermutlich eher gewachsene Stadt wurde also nach einem wahrscheinlich in Rom erarbeiteten Plan ausgebaut. Neubauer: "So etwas war nur auf kaiserlichen Befehl möglich."

Darstellung eines Kellers im Tavernenbereich.
Illustration: APA/LBI ARCHPRO, 7 REASONS

Frühes Zentrum

Die Ausmaße des ersten Amphitheaters belegen aber auch die große Bedeutung Carnuntums davor. Angesichts der neuen Entdeckungen war der Ort vermutlich schon damals deutlich größer als angenommen. Der Stellenwert der Arena zeige sich wiederum darin, dass das neue, hauptsächlich aus Stein erbaute Amphitheater, dessen Mauerreste heute noch zu sehen sind, rasch wieder neu erbaut wurde und der Freizeitbetrieb quasi nahtlos weiterging. Neubauer: "Das dürfte damit zusammenhängen, dass immer wieder große Truppenkontingente in Carnuntum für die Feldzüge gegen die Barbaren im Norden zusammengezogen wurden."

All das sei ein erneuter Beleg dafür, wie wichtig "Brot und Spiele" auch an der Außengrenze des Reichs waren. Ausgerichtet und bezahlt wurden die Spektakel von einflussreichen Leuten, die politische Ämter angestrebt haben. "Das war damals 'Part of the game'", sagte Neubauer. (APA, red, 30.3.2017)