Abraham Flexner, "The Usefulness of Useless Knowledge". With a companion essay by Robbert Dijkgraaf. € 9,99 / 93 Seiten. Princeton University Press, Princeton 2017.

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Als er 1959 im Alter von 92 Jahren starb, meldete die "New York Times" seinen Tod groß auf Seite eins. Im Nachruf hieß es unter anderem: "Kein anderer Amerikaner seiner Zeit hat mehr zum Wohlergehen dieses Landes und der Menschheit insgesamt beigetragen." Dieser Wohltäter der USA, der betrauert wurde, hieß Abraham Flexner und ist hierzulande eher vergessen, obwohl er einer der wichtigsten Universitätsreformer und Forschungsorganisatoren des 20. Jahrhunderts war.

Berühmt wurde Flexner vor allem für zwei radikale Innovationen im US-Wissenschaftssystem: 1910 veröffentlichte er gemeinsam mit seinem Bruder den berühmten Flexner-Report über die Medizinerausbildung in Nordamerika. Flexner hatte sich etliche Medizinfakultäten in Deutschland und auch jene in Wien angesehen und plädierte für tiefgreifende Reformen in den USA, die tatsächlich umgesetzt wurden: Etwa die Hälfte aller medizinischen Ausbildungsstätten schlossen.

Gründer des Institute for Advanced Study

Noch bekannter wurde er als Gründungsdirektor des legendären Institute for Advanced Study in Princeton: Mit privaten Mitteln finanziert, wurde das 1930 eingerichtete Institut zur Zufluchtsstätte von Forschern wie Albert Einstein, Kurt Gödel und anderen (auch Geistes- und Sozial-)Wissenschaftern, die vor den Nazis in die USA flüchten mussten, und ist bis heute eine der renommiertesten Forschungseinrichtungen weltweit.

In seinem letzten Jahr als Institutsdirektor veröffentlichte Flexner 1939 im "Harper’s Magazine" einen Essay, der zu den klassischen Texten der Forschungspolitik zählt: Unter dem Titel "The Usefulness of Useless Knowledge" legte er ein überzeugendes Plädoyer für die zweckfreie, allein von Neugierde und Einbildungskraft getriebene Wissenschaft und nennt in seinem kurzen, aber gewichtigen Text einige Beispiele von "nutzloser" Forschung, die umso reichere technologische Früchte trug.

Der aktuelle Direktor des Institute for Advanced Study, Robbert Dijkgraaf, erläutert die Grundgedanken von Flexners Essay.
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Die Früchte "zweckfreier" Forschung

Am meisten Platz verwendet er auf das Radio, das als Erfindung von Guglielmo Marconi galt, was Flexner auch gar nicht leugnet. Doch er zeigt anschaulich, dass Marconis Entwicklung, die mit dem Nobelpreis 1908 gewürdigt wurde, ohne die "völlig zweckfreien" Vorarbeiten von Maxwell und Hertz unmöglich gewesen wäre.

Unter dem Eindruck, dass in Italien und Deutschland die Autonomie der Universitäten den politischen, wirtschaftlichen und "rassischen" Vorstellungen des Faschismus geopfert wurde, erinnert er an die Ideale der Humboldt’schen Universitätsreform – und wie diese am Institute for Advanced Study in Princeton umgesetzt wurden, wo man keine Versprechungen mache, aber doch hoffe, "dass ungehindertes Streben nach nutzlosen Erkenntnissen Folgen für die Vergangenheit und die Gegenwart hat".

Der Nutzen in ein paar Zahlen gefasst

Diese Hoffnungen waren nicht unbegründet, wie Robbert Dijkgraaf, der aktuelle Direktor des Institute for Advanced Study in seinem einleitenden Essay "The World of Tomorrow" schreibt: Tatsächlich legten Einstein, von Neumann und andere Geistesgrößen mit ihrer theoretischen Forschung in Princeton unter anderem die Grundlagen für die "digitale", aber auch die "nukleare" Revolution, also für die Entwicklung des Computers, aber auch der Atombombe.

Der theoretische Physiker aus den Niederlanden bringt nicht nur weitere zahlreiche Beispiele für die unerwarteten Anwendungen von Grundlagenforschung wie das World Wide Web, Google oder die Supraleitung. Er fasst sie auch in einige beeindruckende Zahlen: So schätze man, dass 30 Prozent des aktuellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA auf Erfindungen basiert, die erst durch die Quantenphysik möglich wurden und die vor weniger als hundert Jahren als der Inbegriff "nutzloser" Forschung galt. Laut Berechnungen des MIT wiederum seien allein aus den Forschungen dieser technischen Universität nicht weniger als 30.000 Firmen hervorgegangen, die heute rund 4,6 Millionen Mitarbeiter beschäftigen.

Finanzierung der Grundlagenforschung

Eingerahmt von Schilderungen der Weltausstellung 1939, die unter dem Titel "The World of Tomorrow" 1939 in New York stattfand, macht sich Dijkgraaf aber auch Gedanken zur Zukunft der Förderung von Grundlagenforschung. Zumindest in den USA hat diese nämlich schon einmal mehr Förderung erhalten: Während 1964, am Höhepunkt des Kalten Kriegs, noch 2,1 Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung flossen, sind es heute weniger als 0,8 Prozent. Das Budget der National Institutes of Health schrumpfte in den letzten zehn Jahren um ein Viertel.

Der Anteil der Unternehmen sei stattdessen aber auch nicht gewachsen, so Dijkgraf. Laut einem Kongressbericht des Jahres 2012 haben Firmen in den USA nur acht Prozent der Grundlagenforschung finanziert, 53 Prozent kommen vom Staat, 41 Prozent von Universitäten und Stiftungen. Die Zeiten, in denen Forscher der Bell Labs etwa bahnbrechende Entdeckungen machten (und Nobelpreise gewannen), scheinen unwiderruflich vorbei.

Die öffentliche Rolle der Wissenschaft

Dijkgraaf hat am Ende aber auch ein paar kritische Worte für Flexner übrig – und zwar im Zusammenhang mit der öffentlichen Rolle von Forschern und dem Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Konkret erinnerte er an eine höchst eigenwillige Intervention Flexners, nachdem Einstein 1933 an sein Institut nach Princeton gekommen war.

Präsident Roosevelt schrieb dem berühmtesten Immigranten damals sofort einen Brief und lud ihn ins Weiße Haus ein. Doch nicht Einstein, sondern Flexner beantwortete den Brief und ließ Roosevelt wissen, dass Einstein in aller Abgeschiedenheit forschen müsse, und zwar ohne jede Ausnahme, die ihn nur in die Öffentlichkeit bringen und ablenken würde. Nach diesem Vorfall stellte Einstein sicher, dass er fortan seine Post selbst beantwortete (und Flexner als einen seiner wenigen Feinde bezeichnete).

Einsteins aktuelle Forderung

Der Physiker wurde in den folgenden Jahren in den USA zudem zum Inbegriff des "öffentlichen Wissenschafters", der auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen Stellung nimmt. In dieser Tradition steht auch Dijkgraaf, der schließlich noch daran erinnert, dass sich Einstein auch aktiv für die Verbreitung von Wissenschaft einsetzte – nicht zuletzt deshalb, um so ihre Wertschätzung und Unterstützung in der Öffentlichkeit sicherzustellen.

Bei seiner Rede anlässlich der Weltausstellung 1939 in New York tat das der große Physiker unter anderem mit folgenden Worten: "Wenn die Wissenschaft – so wie die Kunst – ihre Mission voll und ganz erfüllen soll, dürften ihre Errungenschaften nicht nur oberflächlich, sondern müssen in ihrer tieferen Bedeutung ins Bewusstsein der Menschen dringen."

Auch diese Worte sind fast 80 Jahre alt – und so wie Flexners Essay heute genauso aktuell wie damals. (tasch, 9.4.2017)