Wien – Die Karriere der großen Brecht-Diseuse Lotte Lenya (1898- 1981) gehört zu den unwahrscheinlichen Fallbeispielen aus dem Lehrbuch der Moderne. Das Fiakerkind aus Wien-Penzing wird zur alles überstrahlenden Muse des Brecht-Theaters. Mit betörender Nichtstimme entwickelt sie aus den Songs ihres Lebenspartners Kurt Weill das Drama der emanzipierten Frau.

Es schlägt die Stunde Sona MacDonalds, der größten Sänger-Schauspielerin Wiens. Sie bewegt sich als Lotte Lenya in den Kammerspielen wie auf dem schwankenden Boden eines auseinanderbrechenden Kahns. Sie schleudert den Elementen ihren wohllautenden Gesang entgegen. Der Witz liegt im Understatement. So sicher tremolierend wie die MacDonald hat die Lenya ihr ganzes Leben lang nicht gesungen.

Diese beherrschte jedoch das Geschäft der Desillusionierung. Und so nimmt die biografische Revue Lenya Story – ein Liebeslied ausgerechnet auf dem Friedhof ihren Anfang. Die Bühnenschräge (Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos) ist mit weißen Federn bedeckt. Ein Paar Lackpumps und eine rote Boa lassen an eine Katastrophe denken, vielleicht an den Verlust der paradiesischen Unschuld, deren Ersetzung durch das Rollenbild der sexuell selbstbestimmten Frau.

Der Engel der Geschichte ist abgestürzt. Herein tritt ein Pompfüneberer mit Zylinder (Tonio Arango), der noch einmal, wie in Wedekinds Lulu, die Zähmung des "Weibes" als Pflichtprogramm der Männer-Moderne unschön in Erinnerung ruft. Die "Bestie" muss domestiziert werden. Und so stößt er Lenya/MacDonald auf alle viere hinunter. 17 Songs erklingen. Die Lenya wird aus dem Erziehungsprogramm als Geläuterte hervorgehen. Der große Vorzug dieses Bilderbogens aus den Federn von Torsten Fischer (Regie) und Herbert Schäfer liegt in der Ernüchterung. MacDonald stellt die Möglichkeiten ihrer Stimme aus. Sie macht von ihnen aber nur den notwendigsten Gebrauch.

Im Schnelldurchlauf wird die Liebesgeschichte absolviert: Arango ist ein perfekter Brecht-Schauspieler, der Weills Unbedenklichkeit in Sachen Ehehygiene als bürgerlichen Witz erzählt. Als Brecht hängt er den Sehnsuchtsmond an die Drahtleine. Und erst in MacDonalds Liedinterpretationen (perfekte Band: Christian Frank) wird das Lenya-Drama greifbar: Ihr Leben bestand (auch) aus heruntergeschluckten Enttäuschungen. Das Publikum riss es zu Recht von den Sitzen. Romantisch geglotzt hat übrigens niemand. (Ronald Pohl, 31.3.2017)