Populismus zeigt sich für Bundeskanzler Christian Kern (li.) heute vor allem in der Figur der Rechtsdemagogen, sagte er bei der "Europa im Diskurs"-Debatte im Burgtheater.

Foto: Robert Newald

Eine Ursache, zahlreiche Konsequenzen? Zuerst stimmen die Briten für den Austritt aus der EU, dann machen die Amerikaner Donald Trump zu ihrem Präsidenten, danach schlittern die Niederlande an Geert Wilders vorbei, und nun fürchtet sich Europa davor, dass Marine Le Pen in Frankreich die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Schuld daran soll nur einer sein: der Populismus. Aber lassen sich die politischen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit tatsächlich auf diese Ursache reduzieren?

Die Fragestellung der vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen, der Erste-Stiftung, dem Burgtheater und dem STANDARD organisierten Matinee im Rahmen von "Europa im Diskurs" lautete daher auch: "Leben wir im Zeitalter des Populismus?" Im vollbesetzten Burgtheater (rund 1.000 verkaufte Karten) versuchten Sonntagvormittag neben Kanzler Christian Kern der deutsche Soziologe Heinz Bude, die deutschen Politologen Karin Priester und Jan-Werner Müller sowie der Abgeordnete der Schweizer Volkspartei (SVP) und Chefredakteur der Weltwoche, Roger Köppel, Antworten zu finden.

Eine Begriffserklärung

Am Anfang stand die Begriffserklärung. Wobei Kanzler Kern eigentlich nicht über Populismus, sondern über Rechtsdemagogen reden wollte, denn: "Das ist die uralte harte Rechte. Ich sehe keine moderne Entwicklung: Dieses Gegeneinander, dieses Andere-Runtermachen, das hat immer rechte Ideologien ausgezeichnet."

Politologin Priester schränkte ein, dass der Populismus "nur von Land zu Land definiert" werden könne. Einen roten Faden gebe es aber: "Das ist die Polarisierung zwischen dem ,Wir' und den anderen. Wer ,Wir' sind, ist relativ klar, es ist das Volk – und zwar mittlere und untere soziale Schichten." Wer die anderen sind, sei situativ gebunden: die EU, die Bürokraten oder die Migranten.

Nicht jeder, der Eliten kritisiere, sei Populist, warnte Müller. Diese würden aber sagen: "Wir und nur wir repräsentieren das ,wahre Volk'." Daraus folge die Frage, ob Bürger, die sie nicht unterstützen, auch zum Volk gehören: "Beim Populismus geht es nicht so sehr um das Antielitäre. Das Entscheidende ist der Anti-pluralismus."

Soziologe Bude fragte offen, "warum die Populisten immer so wahnsinnig selbstvergiftet" seien. Man denke: "Was haben die eigentlich?" Alles drehe sich um die "Grundkonstellation des Gekränktseins, der Herabsetzung und der Minderschätzung". Bude: "Das Verrückte ist, dass der ressentimentbesetzte Populist diese Situation immer wieder hervorruft und die Leute diese auch immer wieder erleben wollen: Jawohl! Ich werde herabgesetzt!" US-Präsident Donald Trump sprach er die "narzisstische Begabung" zu, "die Gekränktheit zu riechen".

Richtiger Riecher

Ob auch Roger Köppel über diese Fähigkeit verfüge, wollte die Diskussionsleiterin, STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid, von dem Abgeordneten der populistischen SVP wissen. Der ging lieber gleich auf den Begriff "Populismus" los. Ein "Kampfbegriff" sei das, eine "Alarmetikette", wenn richtige Argumente fehlen. Sein Appell: "Sie müssen die Bürger ernst nehmen, in ihren Meinungen, auch in ihren Vorurteilen." Und Unsinn gehöre widerlegt: "Das Ausgrenzen funktioniert immer weniger."

Bei Letzterem gab ihm Kanzler und SPÖ-Vorsitzender Kern recht – hatte dieser doch eine neue Positionierung gegenüber der FPÖ vollzogen. Man sei "relativ leicht in der Lage, zu zeigen, wie hohl dieses ganze Konstrukt ist". Kern klagte auch über die Einengung auf die Themen "Migration" und "Flüchtlinge", die "uns die Sicht auf die wahren Probleme verstellt". Kern: "Sieht man sich diesen Dialog in Österreich an, dann gibt es bei uns eine Gruppe – ich würde nicht davor zurückschrecken, die Freiheitlichen da in diese Kategorie einzureihen – die sagt: Hätten wir keine Ausländer, keine Flüchtlinge, dann wäre alles gut." Und dann gebe es die konservativen Rechten, die laut Kern folgenden Diskurs führen: "Keine Ausländer, keine Flüchtlinge, und wenn man den Sozialstaat noch abbaut, dann wird es großartig."

"Die Inhalte sind angenommen worden"

Bei der Frage, wie mit Populisten umzugehen sei, tat sich eine andere Verengung auf. Denn, so stellte Politikwissenschafter Müller klar: Man dürfe "nicht nur auf die Populisten schauen, sondern auch auf jene, die sie decken". Das zeige auch das Beispiel der vergangenen Wahlen in den Niederlanden: Mit Geert Wilders habe "zwar der offizielle Populist verloren, aber die Inhalte sind angenommen worden".

Ähnlich kommentierte auch Kern das Niederlande-Wahlergebnis: Er habe "mit Interesse gesehen, wie weit sich die Politik des rechtsliberalen Mark Rutte immer weiter in dieses Wilders Feld verschoben hat". Er sei "geradezu verwildert", ergänzte Köppel. Gefährlich seien nicht die Populisten, sondern die Ausgrenzung. Seine Prognose: "In Europa wird die Kirche im Dorf bleiben." Marine Le Pen werde nicht "durchmarschieren" und Angela Merkel die Wahl in Deutschland gewinnen,

Für Politologin Priester gibt es ein Problem mit der Akzentsetzung der Parteien. Sie fragte: Sind die westlichen Demokratien noch so aufgestellt, dass wir wirklich eine Alternative haben, wenn wir zwischen einer konservativen und einer sozialdemokratischen Partei wählen? Oder ist das im Grunde Jacke wie Hose?" Soziologe Bude konstatierte eine "wahnsinnige Sehnsucht nach Solidarität" – die aber momentan eher von der Rechten aufgegriffen werde. Kern blieb vorsichtig optimistisch: "Wenn man wieder in der Lage ist, zu beweisen, dass progressive politische Kräfte Veränderungen im Interesse der Mehrheit der Menschen wollen, dann wird auch dieses Populismus-Phänomen sich relativieren." (Peter Mayr, 2.4.2017)