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Was beeinflusst uns beim Griff zu Fleisch oder Gemüse – Kultur oder Biologie?

Foto: AP Photo/Michael Probst

Fangen wir mit einem kleinen Test an: Ordnen Sie folgende Lebensmittel Männern oder Frauen zu: Steak, Gemüsequiche, Bier, Yogi Tee, Schweinshaxe, Früchtequark. Kinderleicht? Kein Wunder, denn Männer und Frauen essen tatsächlich unterschiedlich, das belegen auch zahlreiche Studien. Eine der größten ist die Nationale Verzehrstudie II von 2008 bei der fast 20.000 Männer und Frauen befragt wurden: Danach essen Männer fast doppelt so viel Fleisch und Wurst wie Frauen, während diese Obst, Gemüse, Joghurt und Salat vorziehen. Auch finden sich über alle Studien hinweg etwa doppelt so viele Vegetarierinnen wie Vegetarier. Aber warum gibt es überhaupt unterschiedliche Essensvorlieben bei Mann und Frau? Und sind diese genetisch verankert oder durch Kultur und Erziehung geprägt?

Sozial konstruiertes Essverhalten

Soziologen sind vom "gender-doing" überzeugt: Männer essen demnach Fleisch, um zu zeigen, dass sie Männer sind. "So lernen Jungs von klein auf, dass Fleisch groß und stark macht", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und folgert: "Unser Essverhalten ist sozial konstruiert."

Fleisch ist dabei das symbolträchtigste aller Lebensmittel: "Es steht für Kraft und Virilität und verkörpert die dominante Stellung des Mannes", sagt Brombach. Der Hausherr residierte früher am Ende des Tisches, wurde als erster bedient und bekam das beste Bratenstück. In allen Kulturen ist Fleisch kostbar und untrennbar mit Männlichkeit verbunden: Bevor der Mensch vor rund 10.000 Jahren sesshaft wurde, musste er jagen, um Fleisch zu essen – und Jäger waren und sind bis heute – meist Männer.

Mann und Frau unterscheiden sich aber nicht nur bei der Speisewahl. "Männer essen größere Portionen, beißen herzhaft zu, kauen schneller und kraftvoller", so Brombach. Als männlich gelten auch scharfes Essen sowie das Trinken aus der Flasche. Auch Frauen unterstreichen ihre Weiblichkeit durch ihr Verhalten: "Sie essen kleinere Portionen, kauen langsamer und nippen am Weinglas", sagt Brombach. Wie stark solche archaischen Rollenmuster sind, zeigt sich besonders gut im Sommer: Grillen ist Männersache, gerne mit einem Bier in der Hand. Den Salat bereiten die Frauen zu.

Essstörungen häufiger weiblich

Weltweit ernähren sich Frauen tendenziell gesundheitsbewusster fand eine Studie heraus, die das Essverhalten in 23 Länder untersuchte. Globalisierung bedeutet also auch: weltweit das gleiche Schönheitsideal – das Frauen antreibt, Kalorien zu sparen. Im besten Fall ernähren sie sich dadurch gesünder, im schlimmsten Fall werden sie krank: "Frauen sorgen sich stärker um ihre Figur, sind generell unzufriedener mit ihrem Gewicht und versuchen häufiger abzunehmen", so Brombach. Essen ist für sie oft ein zweischneidiges Schwert und das Problem fängt schon in jungen Jahren an. Die Folge: Mädchen erkranken häufiger an Essstörungen wie Bulimie und Magersucht.

"Männer essen insgesamt lustbetonter und ihr Verhältnis zu Essen ist unkomplizierter", sagt Brombach. Entsprechend sind sie auch häufiger übergewichtig als Frauen – nur stört es sie weniger.

Anthropologische Sicht auf Nahrungsvorlieben

Und was ist mit unserer Biologie? Um unser heutiges Verhalten zu verstehen, schauen Biologen gerne in die Vergangenheit. Nun kann aber niemand wissen, ob Männer schon damals lieber Fleisch aßen – aber man kann heute noch traditionell lebende Völker studieren. So fand Colette Berbesque, Anthropologin an der Roehampton University in London, heraus, dass auch die Hazda aus Tansania unterschiedliche Nahrungsvorlieben haben: Männer essen am liebsten Honig, gefolgt von Fleisch, Wurzeln und Beeren, Frauen am liebsten Honig, Beeren, Wurzeln, Fleisch.

Berbesque hat dafür verschiedene Erklärungen. Bei der evolutionären geht es, vereinfacht erklärt, um den Fortpflanzungserfolg: Das menschliche Verhalten ist darauf optimiert, die eigenen Gene weiterzugeben. Da Hazda-Männer bei der Jagd selten erfolgreich sind, ist Fleisch keine zuverlässige Nahrungsquelle. Frauen setzen deswegen auf weniger energiereiche Nahrung, die aber verlässlich ergiebig ist. Zum einen, um ihre Fettreserven zu bewahren und damit ihre Fruchtbarkeit, zum anderen, um ihre Kinder zuverlässig versorgen zu können. Männer hingegen setzen auf Fleisch und sichern sich damit das Wohlwollen, also die Paarungsbereitschaft der Frauen, denn auch Frauen mögen Fleisch.

Schaut man zu unseren nächsten Verwandten, findet man bemerkenswerte Parallelen: Termiten oder Fleisch sind bei Schimpansen willkommene Leckerbissen, die Männchen häufiger essen als Weibchen aber gerne mit ihnen teilen: "Dadurch können sie die Gunst der Weibchen gewinnen und später, wenn diese fortpflanzungsbereit sind, in Kopulationen ummünzen", sagt Roman Wittig vom Max-Plank-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Kultur oder Biologie

Berbesques zweite Erklärung ist physiologischer Natur: "Womöglich haben die Geschlechter einfach einen unterschiedlichen Nahrungsbedarf." Für diese Theorie spricht, dass sich Männer und Frauen in allen ethnischen Gruppen in ihrem Körperbau unterscheiden. Männer sind im Durchschnitt größer, haben mehr Muskelmasse und benötigen mehr Kilokalorien (kcal) pro Tag als Frauen. Bei einem Bürojob etwa reichen ihnen 2400 kcal pro Tag, Frauen 1900 kcal. Obwohl Frauen im Durchschnitt weniger Kalorien zu sich nehmen, haben sie einen höheren Körperfettanteil – denn sie bekommen die Kinder und dafür braucht es Energie.

Wer uns beim Griff zu Steak oder Salat stärker beeinflusst – Kultur oder Biologie – ist ungewiss. Folgendes Beispiel kommt der Wahrheit wohl am nächsten: Vor rund 7500 Jahren, also ein paar tausend Jahre nachdem der Mensch sesshaft wurde und Kühe und Schafe hielt, mutierte ein Gen: Jener Mensch vertrug plötzlich auch als Erwachsener Milch – was bis dahin Säuglingen vorbehalten war. Das veränderte Gen bot einen Überlebensvorteil, denn Milch ist nahrhaft, und so verbreitete es sich – evolutionär betrachtet – extrem schnell nach West- und Nordeuropa aus, wo heute 90 Prozent der Bevölkerung Milch vertragen. Und die Lehre der Geschichte? Kultur und Biologie des Menschen sind untrennbar miteinander verwoben. (Juliette Irmer, 17.4.2017)