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Israels Premier Benjamin Netanjahu (links) mit US-Präsident Donald Trump im Februar. Politikwissenschafter Tariq Dana sieht "ein gemeinsames Verständnis zwischen Israel und den USA, mit den Siedlungsplänen weiterzumachen".

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Die israelische Siedlung Maaleh Adumim im Westjordanland. Israel werde neue Siedlungen bauen oder bestehende ausbauen, sagt Dana.

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Israel fühlt sich mit Donald Trump als US-Präsident sehr wohl, sagt der palästinensische Politikwissenschafter Tariq Dana. Zum ersten Mal seit dem 1993 begonnenen Oslo-Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern habe nun ein US-Präsident das Konzept der Zweistaatenlösung nicht mehr als einzige mögliche Lösung des Konflikts bezeichnet. Die Zweistaatenlösung hält auch Dana für derzeit unmöglich, man müsse eine "gerechtere Lösung" finden. Der Politikwissenschafter sieht Anzeichen für einen regionalen Ansatz, bei dem eine Front gegen den Iran wichtiger sein könnte als ein palästinensischer Staat.

STANDARD: Israel hat erst kürzlich den Bau einer Siedlung im Westjordanland genehmigt – die erste in fast 25 Jahren. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?

Dana: Es zeigt zunächst, dass Israel nicht beabsichtigt, sich an internationales Recht zu halten, und mit den illegalen Siedlungen fortfahren will und damit weiterhin die Umsetzung einer Zweistaatenlösung verunmöglicht. Außerdem fühlt sich Israel eindeutig wohl mit Donald Trump als US-Präsident. Aus den USA hieß es, man akzeptiere die neue Siedlung als Ausnahme. Ich sehe ein gemeinsames Verständnis zwischen Israel und den USA, mit den Siedlungsplänen weiterzumachen, Siedlungen auszubauen. Ich sehe keine Lösung in der nahen Zukunft, die auf der traditionellen Formel einer Zweistaatenlösung beruht.

STANDARD: Trump sagte im Februar noch, er würde gern sehen, dass Israel bei Siedlungen zurückhaltender ist.

Dana: Und jetzt spricht er von einer Ausnahme für die neue Siedlung. Schon als Kandidat und später auch als Präsident änderte er seine Meinung ständig, ich nehme, was er sagt, nicht wirklich als feststehend an. So oder so unterstützt er die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten, gibt aber aus politischen Überlegungen nicht grünes Licht für alles.

STANDARD: Trump hat auch gesagt, er wäre mit welchem Deal auch immer zufrieden, den Israel und die Palästinenser ausverhandeln.

Dana: Seit dem Oslo-Friedensprozess ist das das erste US-Statement, in dem die Zweistaatenlösung nicht mehr als einzige Lösung des Konflikts bezeichnet wird. Trump hat diesen amerikanischen Konsens zerstreut. Und obwohl er gesagt hat, er gibt den beiden Parteien die Chance, eine Einigung zu finden, würde er immer auf der Seite Israels stehen. Und Israel wird die Realisierung weder einer Ein- noch einer Zweistaatenlösung erlauben.

STANDARD: Unter welchen Umständen könnte Israel die Siedlungsaktivitäten reduzieren?

Dana: Ich vermute das weder jetzt noch in naher Zukunft. Mit Trump an der Macht wird Israel seinen Plan fortführen – also entweder neue Siedlungen bauen oder bestehende ausbauen. Die Zweistaatenlösung war allerdings von Anfang an nicht anwendbar. Und sie ist jetzt unmöglich, es wird sie nicht geben. Wir müssen nach einer gerechteren Lösung suchen, zum Beispiel basierend auf einem demokratischen, säkularen Staat, einem binationalen Staat oder einen Föderalismus, der gleichberechtigte Staatsbürgerschaften gewährleistet, ohne Bezug auf religiösen oder ethnischen Hintergrund. In der Realität gibt es derzeit einen Staat mit unterschiedlichen Gesetzen – mit privilegierenden für israelische Juden und diskriminierenden für Palästinenser. Das widerspricht internationalem Recht.

STANDARD: Welche Entwicklungen sehen Sie auf diplomatischer Ebene?

Dana: Jetzt gibt es einen neuen Trend, eine neue Dynamik. Am Montag war Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi in Washington, der jordanische König Abdullah kommt am Mittwoch, Mitte April der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Und im Sommer könnten die Golfstaaten bei einer Konferenz mit Israel, der Palästinensischen Autonomiebehörde, Jordanien und Ägypten zusammentreffen, um möglicherweise eine neue Version einer Lösung voranzubringen, eine regionale Lösung.

STANDARD: Wie könnte diese aussehen?

Dana: Ich kenne die Inhalte und Details nicht, aber es wirkt wie eine neue Strömung, ein Versuch, den Friedensprozess wiederzubeleben. Erwartet wird aber von dieser regionalen Lösung, dass ihr Hauptziel die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Israel und den arabischen Staaten, vor allem den Golfstaaten, ist, um bessere wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen.

STANDARD: Will man – auf Kosten der Palästinenser – eine gemeinsame Front gegen den Iran bilden?

Dana: Eines der wichtigsten Ziele ist es auch, aus arabischen Staaten und Israel offizielle Verbündete zu machen, um dem Iran gegenüberzutreten. Denn beide Seiten betrachten den Iran als eine Bedrohung ihrer eigenen Interessen.

STANDARD: Wie sehen Sie die Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)?

Dana: Die PA ist eine Kreation des Oslo-Friedensprozesses und wird von mehreren Seiten eingeschränkt – von Israel, internationalen Geldgebern, den USA. Sie existiert aber nur, weil sie im Interesse Israels ist, vor allem was Sicherheit und Wirtschaft betrifft. Die Autonomiebehörde kooperiert mit Israel sehr eng in Sachen Sicherheit, um den palästinensischen Widerstand zu unterdrücken. Es stehen jetzt zwei Szenarien im Raum: Entweder es gibt einen Aufstand der Bevölkerung gegen die PA, um sie aufzulösen und neue nationale Projekte anzudenken, die zumindest einem Minimum ihrer Erwartungen und Forderungen entsprechen. Oder es gibt eine israelische Intervention – weil man der Ansicht ist, die Autonomiebehörde habe ausgedient – und erzwingt ein neues Projekt.

STANDARD: Wir könnte das aussehen?

Dana: Die PA würde aufgelöst und dezentrale Strukturen geschaffen werden, um jedes palästinensische Dorf und jede Stadt separat zu regieren.

STANDARD: Welches Szenario ist wahrscheinlicher?

Dana: Das ist schwer vorauszusagen. Die Mehrheit der Menschen mag die PA nicht, sie wurde für sie zur Belastung. Aber es ist schwierig für diese Menschen zu revoltieren. In anderen arabischen Staaten wurde eine Änderung des Regimes gefordert – aber innerhalb eines existierenden Staates. In Palästina kann man nicht einen Regime-Change fordern, es gibt keinen Staat. Es geht darum, die Autonomiebehörde aufzulösen oder nicht. Aber ohne Strategie, mit einer schwachen Nationalbewegung und einer schwachen Zivilgesellschaft wird darauf Chaos folgen. Und derzeit hängt die Lebensgrundlage vieler Menschen von der PA ab. Aber es wäre sehr leicht für Israel, die PA aufzulösen, wenn die Regierung glaubt, sie werde zum Hindernis.

STANDARD: Könnte es eine neue Generation an politisch Aktiven geben?

Dana: Über die Jahrzehnte der palästinensischen Nationalbewegung gab es immer wieder eine neue "Produktion" der Führungsriege. Aber seit dem Oslo-Friedensprozess der 1990er-Jahre und der Schaffung der palästinensischen Autonomiebehörde gab es diesen starken Mechanismus, neue Führungspersönlichkeiten auszuschalten, die die dominante Führung der PLO, der Fatah oder der PA generell infrage stellen könnten. Immer wenn eine neue, junge Bewegung auftauchte, wurde versucht sie zu vereinnahmen, zu bedrohen oder zu unterdrücken.

STANDARD: Welche Erwartungen haben Sie?

Dana: Ich glaube an Veränderung. Die Situation ist sehr schwierig, repressiver als zuvor, und die Menschen verlieren Hoffnung. Aber ich glaube an die nächste Generation, die aufwachen und sich ihrer Geschichte bewusst wird. Sie sehen: Wir haben bewaffneten Widerstand versucht, gingen über in politische Verhandlungen – und haben versagt. Nun braucht es eine neue Sichtweise, vielleicht die Forderung nach politischen, ökonomischen und sozialen Rechten innerhalb des Staates Israel, aber ohne den ideologischen Mantel des Zionismus zu akzeptieren. Auf der Grundlage eines Staates, der all seine Einwohner akzeptiert. (Noura Maan, 5.4.2017)