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Hunderte Menschen wurden bei dem Giftgasangriff verletzt.

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EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Uno-Sondergesandter Staffan de Mistura beraten über die Lage in Syrien.

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Damaskus – Nach dem verheerenden Giftgasangriff im Nordwesten Syriens macht US-Präsident Donald Trump seinen Vorgänger Barack Obama indirekt für die bisher 72 Toten verantwortlich. In einer Mitteilung des Weißen Hauses wird er mit den Worten zitiert, die Attacke sei eine Folge der "Schwäche und Unentschlossenheit" Obamas.

Damit spielt Trump auf die Entscheidung des Ex-Präsidenten an, nach einem Giftgasangriff im Jahr 2013 in Syrien nicht militärisch einzugreifen. 1.400 Menschen sollen damals ums Leben gekommen sein. Obama hatte sich 2013 auf einen Kompromiss mit Russlands Präsident Wladimir Putin eingelassen, der die Vernichtung der syrischen Giftgasbestände vorsah. Trump selbst sprach sich in der Vergangenheit stets gegen eine US-Intervention gegen das syrische Regime aus, wie die "New York Times" berichtet.

Druck auf Russland und Iran

Zugleich erhöhen die USA den Druck auf Russland und den Iran, die wichtigsten Verbündeten des syrischen Regimes von Präsident Bashar al-Assad. Die beiden Staaten hätten eine "große moralische Verantwortung" für die Opfer, erklärte US-Außenminister Rex Tillerson am Dienstag. Die USA, Großbritannien und Frankreich brachten indes einen Resolutionsentwurf zur Verurteilung Syriens im Uno-Sicherheitsrat ein.

"Es ist klar, wie Assad operiert: mit brutaler, unverfrorener Barbarei", sagte Tillerson. Russland und der Iran sollten ihren Einfluss auf die syrische Führung geltend machen und "garantieren, dass so ein schrecklicher Angriff nie wieder passiert".

Tatsächlich lieferte Russland aber in der Nacht auf Mittwoch eine Art Alibi für das syrische Regime. Die syrische Luftwaffe habe in Khan Sheikhun ein großes Munitionslager von Rebellen bombardiert, in dem sich auch chemische Kampfstoffe befunden hätten, teilte das russische Verteidigungsministerium unter Berufung auf eigene Luftraumbeobachtungssysteme mit.

WHO: Nervenkampfstoff

Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass bei dem Vorfall Nervenkampfstoff freigesetzt wurde. Wie die WHO am Mittwoch in Genf mitteilte, zeigten die Opfer typische Symptome, die bei Kontakt mit Chemiewaffen auftreten.

Bei einigen Opfern deuten die Symptome demnach auf den Einsatz "phosphororganischer Chemikalien" hin, zu denen auch die sogenannten Nervenkampfstoffe gehören. Für den Einsatz von Chemiewaffen spricht nach Angaben der WHO auch, dass die Opfer keine äußerlichen Verletzungen aufwiesen. Stattdessen seien bei den Betroffenen schnell ähnliche Symptome aufgetreten. Die häufigste Todesursache sei akute Atemnot gewesen.

Sondersitzung der Uno

UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte unterdessen die Verfolgung von Kriegsverbrechen: "Die schrecklichen Ereignisse von gestern zeigen unglücklicherweise, dass es weiter Kriegsverbrechen in Syrien gibt", sagte er am Mittwoch bei einer internationalen Syrien-Konferenz in Brüssel.

Wegen des Giftgasangriffs kommt der Uno-Sicherheitsrat am Mittwoch zu einer Sondersitzung zusammen. Im Resolutionsentwurf der drei westlichen Vetomächte wird eine internationale Untersuchung des Angriffs gefordert. Syrien solle Flugpläne und Logbücher vorlegen und die Namen der Hubschrauber-Kommandanten nennen. Zudem sollen Ermittler Zugang zu Luftwaffenstützpunkten erhalten, von denen aus die Angriffe gestartet worden sein könnten. Uno-Generalsekretär António Guterres soll monatlich darüber Bericht erstatten, ob Syrien mit den internationalen Waffenkontrolloren zusammenarbeitet.

Die internationale Gemeinschaft sei "empört darüber, dass wiederholt Menschen in Syrien durch Chemiewaffen getötet und verletzt" würden, heißt es in dem Entwurf. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Beobachter rechnen damit, dass Russland eine Annahme der Resolution verhindern wird. Es hat mehrmals eine Verurteilung des Assad-Regimes vereitelt.

Untersuchung angekündigt

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verurteilte "den offensichtlichen C-Waffen-Angriff". "Solche Kriegsverbrechen müssen bestraft werden", zitierte Regierungssprecher Steffen Seibert die Kanzlerin auf Twitter. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) forderte auf Twitter eine umfassende Untersuchung des Angriffs und eine Bestrafung der Täter.

Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) zeigte sich zutiefst besorgt. Experten der OPCW sammelten und analysierten zurzeit alle verfügbaren Informationen, teilte die Organisation mit.

Syrische Armee streitet Angriff ab

Auch Frankreich und Großbritannien sehen die syrische Regierung hinter dem Angriff. "Wie am 21. August 2013 in Ghouta greift Bashar al-Assad Zivilisten an und nutzt dabei Mittel, die von der internationalen Gemeinschaft geächtet sind", teilte Frankreich am Dienstag mit. Der britische Außenminister Boris Johnson erklärte: "Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat."

Auch Aktivisten machten die syrische Luftwaffe für den Angriff verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück. Ein syrischer General, der ungenannt bleiben wollte, erklärte, die syrische Armee habe in Khan Sheikhun kein Giftgas eingesetzt.

Die in London angesiedelte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärten, Jets seien in der Früh mehrere Angriffe geflogen. Menschen seien in Ohnmacht gefallen, hätten sich erbrochen und Schaum vor dem Mund gehabt. Der Zustand vieler Verletzter sei ernst. Bilder im Internet zeigten zahlreiche Leichen und Opfer, die mit Sauerstoff behandelt wurden.

Später sei die Stadt erneut angegriffen worden, meldeten die Menschenrechtler. Andere Aktivisten erklärten, dass eine Klinik bombardiert worden sei, in der Verletzte behandelt wurden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Menschenrechtler stützen sich aber auf ein Netzwerk von Informanten in Syrien, ihre Angaben haben sich bisher als zuverlässig erwiesen.

Brüchige Waffenruhe

Khan Sheikhun liegt im Süden der Provinz Idlib, die von unterschiedlichen Rebellengruppen kontrolliert wird. Eigentlich gilt in dem Bürgerkriegsland seit Ende des vergangenen Jahres eine von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe. Diese ist jedoch brüchig. Ausgenommen von der Waffenruhe sind die Terrormiliz "Islamischer Staat" und die Al-Kaida-nahe Organisation Tahrir al-Sham. Diese ist besonders in der Provinz Idlib stark.

Uno-Ermittler hatten Syriens Regierung im März vorgeworfen, in den vergangenen Monaten im Kampf um die Stadt Aleppo und andernorts Chlorgas eingesetzt zu haben. Ein Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats sprach von mindestens fünf Chlorgasangriffen regierungstreuer Kräfte seit Jahresbeginn. (red, APA, Reuters, 5.4.2017)