Keine blondierte Haartolle, kein Fifties-Look, kein dahinbretternder Kontrabass. Imelda May ist optisch wie akustisch zunächst kaum wiederzuerkennen, als sie im Londoner Jazzclub Ronnie Scott's ihr neues Album Life Love Flesh Blood vorstellt. Mit ungewohnt sanfter, aber sicherer Stimme gleitet sie in den souligen Opener Call Me. Auf Mays Qualitäten als Blues-Shouterin muss man im Laufe des Abends nicht verzichten, vom Flüstern bis zum Schrei sind es oft nur wenige Sekunden. Dass die aus Dublin stammende Sängerin auf neue Facetten setzt, ist im Ronnie Scott's indessen von Anfang an klar.

Der markante Retrolook samt blondierter Haartolle ist stilvoller Zurückhaltung gewichen. Mit ihrem bisher persönlichsten Album verabschiedet sich Imelda May von alten Gewohnheiten.
Foto: Universal

In dem traditionsreichen Club hat May einst auch Gitarrenlegende Jeff Beck kennengelernt, der sie dort auf Empfehlung eines Freundes sah und seitdem ihr erklärter Fan ist. Wie weinende Möwen nimmt sich das Slidegitarrensolo aus, das Beck zum Song Black Tears im Studio beigesteuert hat und als Gast auch live zum Besten gibt. "Jeff war ganz wesentlich für meine Karriere. Er geht nach wie vor in Clubs, um junge Musiker zu entdecken und ihnen zu helfen", so May im Gespräch.

Mit "Johnny Got a Boom Boom" landete Imelda May 2009 ihren ersten Hit.
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Fast zehn Jahre ist es her, dass ihr mit dem Album Love Tattoo der Durchbruch gelang. Mit einer Musik, die damals alles andere als angesagt war. Entgegen allen gut gemeinten Ratschlägen setzte May ganz auf Rockabilly, den räudigen Bastard aus Rhythm & Blues und Country, der einst dem Rock 'n' Roll auf die Sprünge half. Nicht wegzudenken war dabei Mays auffälliges Retrostyling als eine dem B-Movie entsprungene Femme fatale.

Warum also der Kurswechsel? "Ich hatte ganz einfach das Gefühl, dass ich mich ändern muss", so May im Gespräch. "Dahinter steckt kein großer musikalischer Plan." Zwar liebe sie Rockabilly nach wie vor, zuletzt habe sie aber das Gefühl gehabt, in eine Rolle schlüpfen zu müssen.

"Call Me", der Opener des neuen Albums "Life Love Flesh Blood" in einer Liveversion.
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Ihre Songs hat May immer schon selbst geschrieben. "Dieses Mal wollte ich aber nichts verstecken und die Songs nicht in eine bestimmte Richtung trimmen, sondern schauen, wohin sie mich führen." Das neue Album, nicht nur vom Cover her mehr Diana Krall als ihrer Rockabilly-Vergangenheit verpflichtet, sei ihr bisher persönlichstes.

May, die sich von ihrem Ehemann und musikalischen Weggefährten, Gitarrist Darrel Higham, getrennt hat, singt darauf viel über Herzschmerz. Ja, sie nutze ihre Musik manchmal als eine Art Therapie, aber man dürfe sich nicht vorstellen, dass sie das ganze Jahr, in dem sie die Songs für Life Love Flesh Blood schrieb, weinend zu Hause gesessen sei. Ein Gedanke, der schon durch den Humor von Songs wie Bad Habit entkräftet wird, in dem sie ihre Anfälligkeit für nächtliches Online-Shopping auf die Schaufel nimmt.

Cohen und Dylan als Fans

Zudem wird Autobiografisches beim Songschreiben immer durch das Handwerk gefiltert: "Es geht darum, schlau zu sein, aber nicht zu schlau, um die Hörer nicht zu verlieren." Dass May diese Balance ganz gut gelingt, davon zeugen Bewunderer wie Bob Dylan oder Leonard Cohen, der sie zu einem Essen eingeladen hatte, zu dem es aber nicht mehr kam. "Cohens Fähigkeiten als Songwriter waren phänomenal. Er schrieb so clever, aber auch emotional und ehrlich. Er veränderte die Regeln und machte sich seine eigenen."

May mit dem Song "Black Tears", ebenfalls von "Life Love Flesh Blood".
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An jüngeren Songwritern schätzt May besonders John Grant und Blake Mills, den sie auch als Produzenten bewundert. Ihr neues Album hat May erstmals nicht selbst produziert, sondern T Bone Burnett überantwortet. Der gefragte Americana-Spezialist hat dem Gespann Robert Plant & Alison Krauss ebenso zu einem Welterfolg verholfen wie dem O Brother, Where Art Thou?-Soundtrack: "Er versteht sich auf diesen schönen samtigen Sound, der dennoch Kanten hat. Eleganz und Schlagkraft: Diese Mischung versuche ich auch mit meinem Songwriting zu erreichen."

Voraussetzung von Burnetts Sound sei die richtige Atmosphäre im Studio. "Er kümmert sich um die passenden Musiker und lässt ihnen dann viel Raum, sie selbst zu sein. Zu mir sagte er: Manchmal ist das, was du nicht machst, genau so wichtig wie das, was du machst." May spielte nicht mit ihrer eigenen Band zusammen, sondern mit bewährten Mitstreitern Burnetts wie dem wandlungsfähigen New Yorker Gitarrenabenteurer Marc Ribot: "Er kann wirklich alles gut spielen, egal ob schöne Jazz- und Country-Licks oder Hard-Ass-Rock und Punk. Verrückt!"

2011 im noch im alten Look mit Jeff Beck.
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May ist bereits vor über 20 Jahren von Irland nach England gezogen. Der Brexit bereitet ihr Sorgen: "Entsetzlich, das war die schlimmste Entscheidung überhaupt!" Zwar lebt sie als alleinerziehende Mutter einer vierjährigen Tochter auf dem Land, es ist aber die britische Hauptstadt, die sie nach wie vor begeistert: "London ist so eine großartige Mischung, eine wirklich kosmopolitische Stadt. Und es funktioniert, trotz allem." (Karl Gedlicka, 6.4.2017)