Polit-Selfie in der Säulenhalle des Parlaments:

1. Reihe, von links: Lukas Mandl, Bettina Rausch, Asdin El Habbassi, Alev Korun, Eva-Maria Himmelbauer.

2. Reihe, von links: Josef Lentsch, Hans Arsenovic, Martin Schuster, Niki Scherak, Peko Baxant, Julian Schmid, Anton Erber.

Foto: Lukas Mandl

Wien – Szenen aus dem Alltag im Parlament, wie ihn Abgeordnete erleben oder Zuschauer bei TV-Übertragungen von Nationalratssitzungen schon gesehen haben: "Man hat bei einer Rede oft das Gefühl, man führt ein Selbstgespräch, weil im Plenum mitunter bewusst und demonstrativ in der Zeitung geblättert wird, wenn man gerade redet" (Julian Schmid über Parlamentsreden als junger Oppositionsabgeordneter). "Ihr habt vielleicht recht, aber wir haben die Mehrheit" (Alev Korun über prinzipiell abgelehnte Anträge von Oppositionsfraktionen). "Du weißt, dass ich recht habe, aber du stimmst mir trotzdem nicht zu" (Peko Baxant über nicht unbegründete Vorwürfe von politischen Konkurrenten, wenn er dem "Klubzwang" gemäß abstimmt).

Die Folge davon? "Man hat den Eindruck, dass unsere ganze Berufsgruppe schlechtgemacht wird, teilweise zu Recht" (Hans Arsenovic). Und enormer Vertrauensverlust in der Bevölkerung.

Verbesserte Qualität der Politik

Das soll sich ändern, dachte sich eine Gruppe von Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus verschiedenen Ebenen (Parlament, Landtage, Gemeinden) und präsentierte am Mittwoch eine überparteiliche Initiative zur Verbesserung der Qualität der Politik.

Mandatarinnen von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos (eingeladen waren und sind alle Parteien) haben rund ein Jahr über Politik und Demokratie, qualitätsvolle Entscheidungen im Interesse der von ihnen vertretenen Bürgerinnen und Bürger gesprochen, aber auch über alte, verkrustete Strukturen und Mechanismen im Parlament oder anderen Ebenen der demokratischen Auseinandersetzung.

Das Ergebnis ist eine "Charta der politischen Qualität", mit der unter anderem das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik und ihre Repräsentanten beziehungsweise Abläufe gestärkt werden soll. Sie ist auf politikqualitaet.at abrufbar und kann dort unterzeichnet werden. Auch hier ein Symbol für gesprengte Parteigrenzen: Die Webseite wurde vom ehemaligen Vorsitzenden der Piraten-Partei gestaltet. Der Twitter-Fährte folgt man mit #politqualitaet.

Innovation Parlamentarismus

Der Anstoß zu der Politikqualitätsinitiative ging von Lukas Mandl, Landtagsabgeordneter in Niederösterreich, aus. Er sagte am Mittwoch zu dem Projekt: "Auch der Parlamentarismus ist eine Innovation, die der Menschheit sehr viel gebracht hat und bringt. Parlamentarismus ist kein Zustand, sondern ein Prozess." Und der ist durchaus reformbedürftig, sind sich alle Beteiligten einig. Und zwar auf allen Ebenen des politischen Entscheidungsprozesses: "Politik geht uns alle an, sie findet auf allen Ebenen statt", sagte ÖVP-Nationalratsabgeordnete Eva-Maria Himmelbauer.

Die Muster, die es zu ändern gilt, sind vermutlich überall gleich: "Niemand versteht mehr, warum man Ideen deswegen nicht gut finden darf, weil sie von einer anderen Partei kommen", meinte etwa Hans Arsenovic, Landessprecher der Grünen Wirtschaft Wien. "Warum kann man nicht ergebnisoffen diskutieren? Wir müssen endlich Frischluft in die parlamentarische Arbeit hineinbringen und die Fenster aufreißen."

Das bedeute nicht, dass die unterschiedlichen politischen Werte und Ansichten der Beteiligten verleugnet werden sollten, aber der Prozess zur Erarbeitung der Charta habe etwas geleistet, das die parlamentarische Zusammenarbeit nachhaltig verbessern könne, sagte etwa die niederösterreichische ÖVP-Landtagsabgeordnete Bettina Rausch, die zwei Hebel zur Verbesserung der Politikqualität sieht: "Den Umgang untereinander, von denen, die Politik machen, sollten wir verändern und ein Stück weit entkrampfen, und dann die Rolle der Parlamente stärken, damit Parlamentarier auch tatsächlich Volksvertretung praktizieren können." Das Parlament müsse also nicht nur infrastrukturell, sondern auch personell gestärkt werden.

Kulturveränderung von unten

Oder, wie Grünen-Nationalratsabgeordnete Alev Korun sagte: "Das Parlamentsgebäude wird ja bald renoviert. Nicht nur das Gebäude, sondern auch die Praxis gehört renoviert", meinte sie mit Blick etwa auf das ritualhafte Hinweggehen über Oppositionsvorschläge. Gleichzeitig erinnerte Korun daran, dass Kulturveränderungen nicht von oben verordnet werden können, sondern von unten wachsen müssten und Zeit brauchen.

Mehr Zeit wünscht sich auch Neos-Nationalratsabgeordneter Niki Scherak – für inhaltliche Debatten im Parlament, für das Arbeiten an konkreten Vorschlägen, für Diskurs: "Eines der größten Probleme im Nationalrat ist, dass es kein wirkliches Zusammenspiel zwischen den sechs Parteien gibt, es gibt keinen ernsthaften Diskurs. Aber diese Zeit muss es geben, sonst leidet die Qualität." Wenn die Qualität der demokratischen Prozesse besser werde, dann werde es auch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung dafür geben.

Ein Produkt dieses Qualitätsprozesses für Politik, den diese Gruppe schaffen wollte, heißt auch: Verständnis füreinander entwickeln, im Wissen um die unterschiedlichen Positionen, die sie je nach Partei ja mitunter vertreten. "Die politische Kultur zu gestalten im positiven Sinne eint uns", sagte ÖVP-Nationalratsabgeordneter Asdin El Habbassi und berichtete über die Folgen des überparteilichen Qualitätsentwicklungsprozesses: "Da ist Vertrauen entstanden zwischen uns." Und dieses Vertrauen gelte es auch in der Bevölkerung zu stärken, indem man Entscheidungen nachvollziehbar mache.

Von Zwang und Disziplin

Entscheidungen, die jetzt meistens in verschlossenen Klubzimmern vorentschieden und dann im Parlament nur noch abgenickt werden. Ja, das Thema "Klubzwang" oder "Klubdisziplin" sei in diesem Zusammenhang ein wichtiges, sagte dazu der Wiener SPÖ-Landtagsabgeordnete Peko Baxant. Er sieht den Qualitätsprozess auch da hilfreich: "Der Geist des Gemeinsamen ist auch unglaublich anstrengend. Es gibt auch eine Kultur des Zwangs, die wir ablehnen, aber manchmal ist es einfach notwendig, sich an die Klubdisziplin zu halten, und ich kann im Rahmen dieser Initiative die anderen verstehen, aber auch um Verständnis bitten, dass sie mich in bestimmten Situationen verstehen."

Oder, wie der niederösterreichischen ÖVP-Landtagsabgeordnete Anton Erber sagte: "Durch die Arbeit in dieser Gruppe kann ich die Politik des anderen, die mir inhaltlich vielleicht komplett widerstrebt, mit seinen Augen sehen und besser verstehen."

Begleitschutz für die Demokratie

Dazu hilft mitunter, die Perspektive etwas zu verändern, sagte der grüne Jugendsprecher im Nationalrat, Julian Schmid: "Was verbindet uns eigentlich?" Denn über die parteipolitischen Scharmützel hinausgehend sieht er folgende Problemlage: "Parlament und Demokratie haben wirklich einen katastrophalen Ruf, und es besteht wirklich die Gefahr, dass das auf die Demokratie übergreift."

Das will die bunte Politikqualitätsgruppe verhindern, selbst mit gutem Beispiel vorangehen und möglichst viele andere Menschen auch davon überzeugen. (Lisa Nimmervoll, 5.4.2017)