Nicht die wirklich harten Rechtspopulisten wie Geert Wilders in den Niederlanden seien die eigentliche Gefahr, sagte vor kurzem der deutsche Politologe Jan Werner Müller bei einer Veranstaltung in Wien, sondern deren Nachahmer. Man sei erleichtert gewesen, als Wilders mit seiner Partei bei den jüngsten Wahlen unterlag, aber sein konservativ-liberaler Kontrahent, Ministerpräsident Mark Rutte, habe inzwischen viele der Wilders'schen Positionen übernommen. Auf Österreich übertragen: Die ÖVP ist inzwischen so weit nach rechts gerückt, dass sie sich von der Strache-Partei in vieler Hinsicht kaum mehr unterscheidet.

Auch die SPÖ? Auch Kanzler Kern? Ja, dieser Vorwurf steht im Raum. "FPÖ light" sei seine Politik, hieß es jüngst in einer deutschen Zeitung. Landwirtschaftsminister Rupprechter nannte ihn einen Wendehals, und ÖVP-Hardliner Reinhold Lopatka meinte süffisant: Er sei umgefallen – aber in die richtige Richtung.

Anlass waren natürlich Christian Kerns Bemühungen, die Relocation, also die faire Verteilung aller Flüchtlinge aus Italien und Griechenland auf die Staaten der Europäischen Union, für Österreich noch länger auszusetzen. Österreich habe schon genug getan. Dies, nachdem man hierzulande seit Jahr und Tag über die osteuropäischen Staaten hergezogen war, die sich weigern, ihren Teil der Migranten zu übernehmen, und nachdem sich Österreich gegenüber der EU zur Aufnahme von zunächst 50 und später bis zu 2000 Minderjährigen verpflichtet hatte. "Die 50 nehme ich sofort in Ottakring", ließ sich der Wiener Bürgermeister Häupl damals vernehmen.

Kurz nach Kerns Amtsübernahme gab es im Wiener Kreisky-Forum einen Gesprächsabend mit Kern und dem Autor David Schalko. Die Erwartungen waren groß, der Garten der Kreisky-Villa brechend voll, anwesend nicht die üblichen SPÖ-Funktionäre, sondern Intellektuelle, Kulturschaffende, Studenten, weit über die Parteigrenzen hinaus. Jene Schicht, die einst "ein Stück des Weges" mit Bruno Kreisky gegangen war und ihm dreimal die absolute Mehrheit gebracht hatte. Das – und nicht nur die von der Kronenzeitung verächtlich so genannte "linke Partie in der SPÖ" – sind die Menschen, die jetzt enttäuscht bis empört sind.

Eine Minderheit, gewiss. Vermutlich kleiner als die Gruppe der einstigen SPÖ-Wähler, die bei der Bundespräsidentenwahl nicht zuletzt wegen der Flüchtlingskrise Norbert Hofer gewählt haben. Aber es ist diese Minderheit, die letztlich Alexander Van der Bellen zum Sieg verholfen hat, die Barack Obama einst hinter sich hatte und Hillary Clinton nicht, mit den bekannten Folgen. Zu ihr gehören die parteipolitisch nicht sonderlich interessierten Jungen, die aber verlässlich da sind, wenn es wirklich um etwas geht. Das hat man bei der Flüchtlingswelle 2015 gesehen.

Flüchtlinge sind nicht alles, sagt Kern. Es gibt Wichtigeres. Mag sein. Aber sie sind das emotionellste Thema, an ihm scheiden sich die Geister. Dass Europa die Massenzuwanderung eindämmen muss, ist klar. Aber es gibt eine rote Linie, die niemand überschreiten kann, wenn er anderntags noch in den Spiegel schauen möchte. Ein wirklich ernstzunehmender Politiker muss wissen, wo diese Linie ist. Wenn Christian Kern sie nicht wieder findet, muss er fürchten, statt als Hoffnungsträger als Umfaller in die Geschichte einzugehen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 5.4.2017)