Punkgöre Tiger Girl (Ella Rumpf) widersetzt sich nicht nur dem Konsumzwang – in "Tiger Girl" haut sie auch zu.

Foto: Constantin

Wien – Niemand will blöd ausgelacht werden, weil der Sprung über den Bock misslingt. Niemand will bei der Parkplatzsuche von einem anderen Verkehrsteilnehmer kurzerhand überholt werden. Und niemand will auf einer nächtlichen U-Bahn-Station auf dem Nachhauseweg von einer Gruppe Jugendlicher angemacht werden, ohne recht zu wissen, wie man aus einer solchen Zwangslage wieder unbeschadet herausfindet.

Constantin Film

Der Alltag besteht für Margarethe "Maggie" Fischer (Maria Dragus) aus einer Serie von Kalamitäten. Die zaudernde junge Frau hat dagegen kein rechtes Mittel bereit, obwohl sie eigentlich Polizistin werden möchte. Auftritt Tiger Girl, gespielt von der Schweizer Newcomerin Ella Rumpf, die vor ein paar Jahren bereits in dem Jugenddrama Chrieg aufgefallen ist. Tiger Girl ist ein Tomboy, eine punkige Stadtstreunerin, und damit ziemlich genau das Gegenteil von Maggie. Sie steht plötzlich da und demoliert den Rückspiegel des Parkplatzkonkurrenten, später holt sie mit dem Baseballschläger am U-Bahn-Gleis weit aus.

Wunsch nach Selbstermächtigung

So umstandslos verschafft sich diese zum Leben erweckte Comicfigur Präsenz, dass man in Jakob Lass' Tiger Girl anfangs noch glaubt, es mit einer weiblichen Variante von Fight Club zu tun zu haben. Auch das Motiv der Selbstermächtigung ist vergleichbar. Ähnlich wie damals ein schmächtiger Geschäftsmann über ein testosterongesteuertes Alter Ego sein Selbstwertgefühl auftanken konnte, weckt auch Tiger Girl in Maggie die Lust am Durchbrechen von Grenzen. Doch Tiger Girl gibt es wirklich.

In den ausgeliehenen Uniformen eines Security-Unternehmens gehen die beiden etwa daran, unbescholtene Bürger als Ordnungshüter zu drangsalieren, Gegenstände zu entwenden oder kaputtzuschlagen. Das macht Spaß, und wie ein Spaß ist es von Lass auch inszeniert: Ohne sich um Psychologie oder um politische Ausrichtungen zu scheren, feiert er die Posen seiner Heldinnen zunächst als unbekümmerte Interventionen in einen drögen Alltag.

Diese Ausrichtung gilt auch für Tiger Girl selbst, mit dem der Münchner Regisseur unter Verwendung griffiger Slogans wie Martial-Arthouse der deutschen Kinoeinförmigkeit einen Tritt in den Hintern verpassen möchte. Auf der letzten Berlinale ist dieses Spiel um Aufmerksamkeit mindestens zur Hälfte aufgegangen. Manches Feuilleton jubelte über den "Adrenalinstoß" in der Nebensektion Panorama, den auch der matte Wettbewerb gut vertragen hätte.

Jakob Lass ist 2013 mit dem größtenteils improvisierten Liebesdrama Love Steaks schlagartig bekannt geworden, dessen unvermittelten DIY-Stil er nun, erstmals mit großem Budget von Constantin koproduziert, merkbar auffrisiert hat. Die schnellen Schnitte, die gelenkigen Kameramanöver, die Schnoddrigkeit – mitunter wirkt es hier schon leicht aufgesetzt. Immerhin hat Lass jedoch seine Sensibilität für Lebensräume und damit verbundene Haltungen behalten. In Tiger Girl schlummert beispielsweise eine diffuse Punkmoral. Ihre Attacken richten sich nicht blindwütig gegen alle Mitmenschen, sondern sie handelt auch aus Solidarität mit den Schwächeren.

Deshalb muss ihr Maggies wachsende Gewaltbereitschaft, der Kitzel, den diese aus der Position der nunmehr Erstarkten bezieht, auch irgendwann gegen den Strich gehen. Dass die Befreiung vom passiven Rollenverhalten am Ende nur die Rolle der Überlegenheit kennt, ist eine Gefahr, die der Film nicht aussparen will.

Dass es Tiger Girl nicht restlos gelingt, diesen Entwicklungsprozess überzeugend zu vermitteln, liegt am Pathos der Coolness, mit dem Lass den Nonkonformismus seiner beiden Heldinnen zelebriert. Die Relativierung dieses Modells, das zu wenig Ambivalenz zulässt, gelingt ihm nur um den Preis, dass er zu einer eher geläufigen Figurenpsychologie zurückkehrt. (Dominik Kamalzadeh, 6.4.2017)