Dieser Mann hat's auch nicht leicht.

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Es ist Zeit, eine Lanze für Reinhold Mitterlehner zu brechen. Immerhin übt der Mann in Doppelbelastung zwei der undankbarsten Jobs in der Republik aus: Er ist Vizekanzler und ÖVP-Obmann in Personalunion. Schwer vorstellbar, dass es etwas Schlimmeres in der Politik geben könnte. Und doch bemüht er sich unverdrossen um Konstruktivität, er versucht trotz aller Querschüsse diverser ÖVP-Minister die ÖVP in der politischen Mitte zu verankern, er ignoriert standhaft die Attacken aus den eigenen Reihen und vonseiten des Koalitionspartners und bleibt scheinbar unverdrossen dabei: Die rot-schwarze Koalition mache gute Arbeit, sie habe Erfolge, sie verkaufe sie nur schlecht. Wenn sich aber alle mehr bemühen, könne gutes Regieren gelingen. So viel Optimismus verdient Anerkennung.

Am 8. November 2014 übernahm Mitterlehner die Führung der Volkspartei. Mitterlehners Vorgänger Michael Spindelegger war nach Meinung vieler Wähler und Funktionäre mit seinem strikt konservativen Law-and-order-Kurs gescheitert – da kam der seit jeher als liberal geltende Oberösterreicher Mitterlehner gerade recht als Kontrastprogramm.

Das Django-Missverständnis

Man kann davon ausgehen, dass der sich keine Illusionen machte – er ist seit 1991 in der Politik, seit 2008 Minister. Obendrein hat er jahrzehntelange Erfahrung im Wirtschaftsbund aufzuweisen. Mitterlehner ist also sowohl sozialpartnerschaftlich geschult als auch mit dem symbiotisch-schwierigen Verhältnis zwischen der ÖVP und ihren Bünden wohlvertraut.

Die Parteimitglieder jubelten ihm anfangs zu, wählten ihn mit 99,1 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Obmann und verliehen ihm den Beinamen "Django" aus Mitterlehners Studentenverbindungszeiten – das sollte wohl der Hoffnung Ausdruck verleihen, der Neue werde der ÖVP den Weg an die Spitze der Regierung freischießen.

Versuch einer Liberalisierung

Stattdessen ging Mitterlehner an, was er angekündigt und versprochen hatte: die Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren. Er startete einen Liberalisierungs- und Modernisierungsprozess, führte – zumindest auf Bundes- und Europaebene – das Reißverschlusssystem bei der Erstellung der Wahllisten ein, um die Partei "weiblicher" zu machen. Er setzte gegen die Konservativen in der ÖVP und gegen den Widerstand der Kirche die Präimplantationsdiagnostik und die künstliche Befruchtung für homosexuelle Paare durch und bezeichnete die in gewissen Kreisen immer wieder aufflammende Debatte über die Fristenlösung als "erledigt". Österreich nannte Mitterlehner auf einer ÖVP-Klubtagung eine "säkulare und multikulturelle Gesellschaft", wovon der Islam ein Teil sei.

Das alles sollte, für Beobachter wenig überraschend, nicht lange gutgehen. Der einstige Strahlemann entwickelte sich immer mehr zum Buhmann, einige mächtige ÖVP-Länderchefs entdeckten in Sebastian Kurz bald einen neuen Liebling, seither darf dieser die gesellschaftspolitische Marschroute nach rechts vorgeben. Innenminister Wolfgang Sobotka schaltet und waltet ebenfalls nach Herzenslust – ohne Rücksicht auf die Linie, die eigentlich der Bundesparteiobmann vorgeben sollte.

Richtungsweisend

Dass Mitterlehner bei alldem schlecht aussieht und dies am Ende auch der ÖVP nichts nützt, muss jedem klar sein, auch denen, die an seinem Sessel sägen. Doch die tägliche Obmann-Demontage scheint in der ÖVP so zur Gewohnheit geworden zu sein, dass sich jetzt tatsächlich einige wundern, dass Mitterlehner Widerstand leistete, als sich Kurz und Familienministerin Sophie Karmasin daranmachten, die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder zu kürzen. Schon ist die Rede von einem "innerparteilichen Richtungsstreit" – als ob der Bundesparteiobmann diese geändert hätte.

Aber die öffentliche Wahrnehmung prägen seit Monaten jene, die Mitterlehner permanent konterkarieren. Ob deren Weg der richtige ist, müsste erst durch Wahlergebnisse bewiesen werden. Empirisch betrachtet hat es der ÖVP in der Vergangenheit noch nie geholfen, sich als die besseren Blauen auszugeben.

Vielleicht sollte der im Ministerrat ausgerufene Osterfriede auch einmal innerhalb der ÖVP eingehalten werden. Deren Parteichef hätte es sich einigermaßen verdient. (Petra Stuiber, 6.4.2017)