Illustr.: tomruen/eso

Seit zwei Jahren wächst der Stapel an wissenschaftlichen Studien, die darauf hinweisen, dass unser Sonnensystem einen bisher unbekannten Planeten weit jenseits der Plutobahn besitzt. Das Bild, das man sich über diesen hypothetischen Himmelskörper macht, gewinnt von Monat zu Monat an Klarheit: Planet Neun soll demnach entweder ein Gasplanet oder ein sehr großer Felsplanet von bis zu zehnfacher Erdmasse und vierfachem Erddurchmesser sein. Seine Umlaufbahn liegt in einer Distanz von 300 bis 600 Astronomischen Einheiten (eine AE entspricht der Entfernung zwischen Erde und Sonne), für eine vollständige Runde benötigt der Geisterplanet zwischen 10.000 und 20.000 Jahre.

Die Idee von einem weiteren transneptunischen Planeten ist nicht neu, war aber zwischenzeitlich aus Mangel an konkreten Anhaltspunkten wieder begraben worden. 2014 jedoch brachten die beiden US-Astronomen Chad Trujillo und Scott Sheppard diese Möglichkeit wieder ins Spiel, als ihnen im Kuipergürtel einige Brocken mit sehr ungewöhnlichen Orbits auffielen. Speziell die Anordnung der exzentrischen Umlaufbahnen erweckte den Anschein, als würde eine große Masse auf sie einwirken und sie in eine bestimmte Richtung lenken.

Die Grafik zeigt, wie Planet Neun die Umlaufbahnen anderer Kuipergürtelobjekte beeinflusst.
Grafik: Caltech

Daraufhin machten sich Konstantin Batygin, vielbeachteter Mathematiker und Experte für Himmelsmechanik am Caltech in Pasadena, und der Planetologe Michael E. Brown daran, die Arbeit von Trujillo und Sheppard zu widerlegen. Brown hatte 2005 den Zwergplaneten Eris entdeckt und damit jene Diskussion eingeleitet, an deren Ende schließlich die Degradierung von Pluto stand und das Sonnensystem plötzlich nur mehr acht Planeten besaß.

Zu ihrer eigenen Überraschung gelang es dem Duo Batygin/Brown keineswegs, die These ihrer Kollegen Trujillo und Sheppard zu zertrümmern – im Gegenteil: Ihre eigenen Untersuchungen erhärteten sogar noch die Annahme, dass weit weg von der Sonne ein großes Objekt ungesehen seine Runden dreht. In der 2016 im "Astronomical Journal" vorgestellten Studie stellten die beiden Wissenschafter sogar eine mögliche Umlaufbahn von Planet Neun vor.

Video: Konstantin Batygin und Michael E. Brown erläutern, warum es wahrscheinlich einen Planet Neun geben dürfte.
caltech

Die Beobachtung weiterer Asteroiden untermauerte in den vergangenen Monaten noch den Verdacht. Darüber hinaus lieferten spektroskopische Analysen von zwei transneptunischen Objekten zusätzliche Indizien für die Existenz von Planet Neun. Die beiden Asteroiden glichen einander in ihrer jeweiligen Zusammensetzung so sehr, dass sie sehr wahrscheinlich einst ein gemeinsam reisendes Paar gebildet haben. Dass sie heute trotzdem getrennt ihre Runden ziehen, dafür dürfte den Berechnungen von Julia de León von der University of Madrid zufolge ebenfalls der unentdeckte Riese im Kuipergürtel verantwortlich sein.

Die Nadel im Sternengefunkel

Bei all dem, was man jetzt schon über den Planeten zu wissen glaubt, stellt sich natürlich die Frage, warum so eine große Welt nicht schon längst erspäht werden konnte. Nicht, dass nicht schon intensiv nach ihm Ausschau gehalten wird, aber ein solches Unterfangen ist tatsächlich die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Zum einen kommt dort, wo Planet Neun vermutet wird, nur mehr ein äußerst geringer Anteil des Sonnenlichts an. Das wenige davon, das er reflektiert, könnte vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Galaxien- und Sternengefunkels gänzlich untergehen. Zum anderen lässt sich seine aktuelle Position auf seiner Umlaufbahn kaum vorhersagen. Mit anderen Worten: Er könnte beinahe überall sein.

Die gute Nachricht ist: Die Chancen stehen gut, dass der Planet (so er tatsächlich existiert) im Rahmen einer der vielen Himmelsdurchmusterungen und Beobachtungskampagnen bereits unbemerkt fotografiert worden ist. Es gibt allerdings auch eine schlechte Nachricht: Die sorgfältige Durchsicht all dieser Aufnahmen in den diversen digitalen Astronomiearchiven kommt einer kaum bewältigbaren Sisyphusarbeit gleich.

Möglicher Triumph der Bürgerwissenschaft

Für ein Problem wie dieses hat sich in den vergangenen Jahren die sogenannte Citizen-Science ausgezeichnet bewährt: Tausende Laien-Astronomen, die auf dem heimischen PC via Internet die Flut an Himmelsaufnahmen nach Auffälligkeiten durchsuchen, haben keine schlechten Karten, den potenziellen neunten Planeten aufzuspüren.

Wie es scheint, war das Citizen-Science-Projekt "Planet9Search" recht erfolgreich.
Foto: Dilyar Barat

Und tatsächlich: Eines dieser Projekte mit der Bezeichnung "Planet9Search" hat in dieser Woche einen möglichen Erfolg verkündet: Insgesamt 60.000 Menschen haben in den Beobachtungsdaten des SkyMapper-Teleskops am Siding Spring Observatory im australischen New South Wales drei Tage lang fast fünf Millionen Objekte klassifiziert. Dabei konnten gleich vier bislang unbekannte Himmelskörper im Sonnensystem ausgemacht werden, die alle als Kandidaten für Planet Neun in Frage kämen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Untersuchung war, dass 90 Prozent des südlichen Himmels als Aufenthaltsort von Planet Neun innerhalb von 350 Astronomischen Einheiten von der Sonne inzwischen ausgeschlossen werden können.

Weitere Analysen sollen nun feststellen, ob es sich bei den vier Objekten um Asteroiden, Zwergplaneten oder tatsächlich um einen noch namenlosen großen Gas- oder Felsplaneten handelt. Mike Brown zeigte sich jedenfalls begeistert von diesem Fund. Der Astronom gratulierte dem Team via Twitter:

Sollten sich die vier Funde als Blindgänger erweisen, wäre dies noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Neben "Planet9Search" hat sich auch das Citizen-Science-Projekt "Backyard Worlds: Planet 9" der Suche nach dem Geisterplaneten verschrieben.

Dabei haben die Teilnehmer die Gelegenheit, in den Aufnahmedaten des Infrarot-Teleskops Wise der Nasa nach Objekten zu fahnden, die unerwartete Bewegungen ausführen. Sollte also Planet Neun tatsächlich dort draußen lauern, dann dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, ehe jemand auf ihn stößt – und dieser jemand muss nicht unbedingt ein Profi-Astronom sein. (tberg, 9.4.2017)