STANDARD: Sagt Ihnen die Nummer GG 1669 etwas?

Tojner: GG 1669? Nein.

STANDARD: Das ist die Inventarnummer des Wien-Bildes von Bernardo Bellotto im Kunsthistorischen Museum. Er ist besser bekannt als Canaletto ...

Tojner: Ah.

STANDARD: Am "Canaletto-Blick" vom Oberen Belvedere in die Stadt könnte Ihr Prestigeprojekt scheitern, der Ausbau des Heumarkts samt 66-Meter-Turm. Die Unesco ist gegen den Turm, will den Ausblick gewahrt sehen. Haben Sie das Bild angeschaut?

Tojner: Nein. Auch weil ich der Meinung bin, dass sich eine Stadt verändern muss und darf.

STANDARD: Auch die Stadt will "Ausblicke schützen, die Identifikationscharakter" haben. Welche Orte in Wien haben den für Sie?

Tojner: Das Looshaus am Michaelerplatz etwa – und ein paar Straßen weiter das Haas Haus am Stephansplatz. Nicht, dass man es architektonisch vergleichen könnte, aber sein Bau war sehr umstritten, insofern hat es Identifikationscharakter. Und es wurden Veränderungen zugelassen an sehr prominenter Stelle.

STANDARD: Wobei das alte Haas Haus furchtbar schirch war...

Tojner: Ähnlich schirch wie heute das Heumarkt-Areal bei Eislaufverein und Hotel Intercont.

STANDARD: Dessen "amerikanischer Stil" hat Sie so beeindruckt, als Sie vor ungefähr 30 Jahren erstmals dort waren, am "Ball der Fotomodelle". Da gingen Sie wegen der Fotomodelle hin?

Michael Tojner, Bauherr und Unternehmer, sieht sich selbst als "Entrepreneur". Ein Grenzgänger, als den ihn viele Beobachter sehen, sei er nicht.
Foto: Regine Hendrich

Tojner: Ich war 18, es war mein erster Wiener Ball. Schon der Name "Ball für Künstler und Fotomodelle" hatte eine gewisse Anziehungskraft. Kennengelernt hab ich dort übrigens Hannes Androsch. Ich hab mich aber wegen meines Leih-Smokings nicht zugehörig gefühlt und bin mit einem Freund an die Bar entschwunden.

STANDARD: Canaletto malte sein Wien-Bild ungefähr 1760, auf Einladung Maria Theresias. In Schönbrunn haben Sie mit 23 Ihre erste Million Schilling mit Eisverkaufen verdient, erzählen Sie, das Denkmalamt verbot die Eisstände dann.

Tojner: Ja. Die historischen Gärten des Schlosses wurden als schützenswert, die Eisstände nach 13 Jahren als unpassend betrachtet.

STANDARD: Sie hatten für die Eisstände eine Leasingfirma in Hongkong? Recht ausgefuchst für einen 20-jährigen Studenten.

Tojner: Das mit der Leasingfirma war eine Zeitungsente. Aber: Ich war mit 20 schon ausgefuchst.

STANDARD: Sie haben die Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof durchgekämpft?

Tojner: Kämpfen ist so meine Art. Ich lasse mich durch kleine Zwischentiefs nicht bremsen.

STANDARD: Verliert Wien wegen des Turms den Status Weltkulturerbe, würde Sie das nicht stören. Wieso?

Tojner: Ich bin überzeugt, dass Wien auch Welterbe bleiben kann, wenn das Projekt umgesetzt wird. Fällt der Status Welterbe, wäre das aber kein Weltuntergang. Dem Tourismus bringt das nichts; Wien steht für sich selbst. Und es sollte uns stutzig machen, dass Wien-Mitte als Unesco-verträglicher Bau entstand. Da wurden von 14.000 Quadratmetern Grundfläche 14.000 Quadratmeter völlig zubetoniert, weil Unesco-Berater Icomos höhere Bauten verhindert hat. Wir verbauen viel weniger.

STANDARD: Ihr Projekt ist schöner?

Tojner: (schweigt) Bitte? Wenn mein Projekt nicht schöner ist, verlasse ich die Stadt.

So soll das Areal am Wiener Heumarkt künftig aussehen. Voraussetzung dafür ist letztlich ein Beschluss des Wiener Gemeinderats.
Foto: Entwurf: Isay Weinfeld

STANDARD: Was ist schön?

Tojner: Da diskutieren wir über die Grundfesten der Architektur. Ob jemandem ein Gebäude, ein Areal gefällt, ist eine subjektive Frage der Wahrnehmung – und die Schönheit unseres Projekts wird man erst sehen, wenn es da steht.

STANDARD: Im Turm soll ein Quadratmeter in den obersten Geschoßen wirklich bis zu 25.000 Euro je Quadratmeter kosten?

Tojner: 5000 Euro pro Quadratmeter in den unteren Geschoßen bis 20.000 Euro pro Quadratmeter im obersten Geschoß halte ich für realistisch. Der Turm gehört übrigens zur architektonischen Komposition, das Hotel Intercont werden wir mit der Original-Bar wieder so aufbauen, wie es jetzt dasteht. Das Hotel und das Konferenzzentrum sollen sich selbst rechnen; die Absicherung des Eislaufvereins auf 99 Jahre, der Turnsaal fürs Akademische Gymnasium und die Verlegung der Straße werden aus dem Widmungsgewinn finanziert.

STANDARD: Man sagt, mit dem Heumarkt setzten Sie sich Ihr Denkmal. Das sehen Sie nicht so?

Tojner: Ich brauche und will kein Denkmal. Ich will stolz sein auf das Projekt – und werde das sein, wenn es 70 Prozent der Leute als Bereicherung für die Stadt sehen und sich erinnern werden, dass es fast gekippt worden wäre wegen einer unsäglichen Diskussion. Denkmäler stellt man Verstorbenen auf, aber ich lebe und hoffe, dass ich das noch länger tue. Eigentlich wollte ich Intercont und Eislaufverein mit 50 eröffnen.

STANDARD: Sie wurden gerade 51.

Tojner: Ich habe die Langwierigkeit und Komplexität durchaus unterschätzt.

STANDARD: Warum nennen Sie die Diskussion "unsäglich"?

Tojner: Es ist zu viel der Diskussion. Es geht ja nicht um die Abschaffung der Wehrpflicht, sondern um einen Bau fürs moderne Wien. Wir haben alle Auflagen erfüllt, und nur eine der involvierten Parteien, die Unesco, ist dagegen. Ich hoffe, das hat nun bald ein Ende. Ich halte übrigens diesen Unesco-Bereich für demokratisch fragwürdig. Eine private Beratungsagentur, Icomos, berät die Unesco exklusiv und ich meine, dass beide Institutionen genaue Vorgaben machen müssen und ordentlich mitarbeiten, sonst hält das alle Planungsphasen bei der Stadtentwicklung auf. Wir jedenfalls haben uns beim Heumarkt vorbildhaft an alle Vorgaben gehalten, von Ausschreibung des Wettbewerbs bis zur Einbeziehung der Bevölkerung, und Icomos war immer eingebunden. Wir haben also gezeigt, dass wir auch mit Kritik umgehen können.

Die Bar Italia in der unteren Mariahilferstraße hat Tojner inzwischen an Caterer Do&Co verkauft.
Foto: Corn

STANDARD: Vom Ende der Diskussion, das Sie sich wünschen, zu Ihrem Anfang: Sie waren Eisverkäufer, Möbelhändler, Bar-, Diskobesitzer. 1989 haben Sie einen Versandhandel für Haushaltsgeräte in Osteuropa aufgezogen und kurz vor der Pleite um umgerechnet fünf Millionen Euro an Neckermann verkauft. Als die Deutschen die Due Diligence machten, putzten Sie alles heraus, ließen sogar Overalls für die Crew schneidern ...

Tojner: Woher wissen Sie das?

STANDARD: Nicht aus den vielen Büchern und Unterlagen, die Sie mir zur Vorbereitung dieses Interviews geschickt haben.

Tojner: Neckermann war unser letzter Strohhalm, wir unternahmen alles, um den Vorstand zu begeistern. Wir haben die Bestellungen von ein paar Tagen zusammenkommen lassen, damit die Herren eine begeisterte, motivierte Mitarbeiterschar erleben konnten. Unsere Rechnung ging auf.

STANDARD: Ihre Disko Mekka brachte den saudischen Botschafter auf den Plan, er verlangte, dass Sie den Namen ändern. Später wurde das Lokal behördlich gesperrt.

Tojner: Das war meine schlimmste Zeit. Binnen eines Jahres nahmen Sie mir das Eisgeschäft weg, der Versandhandel war de facto pleite, das Mekka haben sie zugesperrt und ich hab mich von meiner Freundin getrennt, mit der ich das Möbelgeschäft hatte. Da wurde ich kurz nervös. Doch dann kaufte Neckermann das Versand-, Interio das Möbelgeschäft, und wir sperrten die Bar Italia auf, die einen Teil des Mekka gemietet hat.

STANDARD: Vor Ihrer Übersiedlung aus Ihrer Heimatstadt Haag haben Sie auf Pump ein Auto gekauft. Da boten Sie Mitfahrgelegenheiten nach Wien an ...

Tojner: Ja, einen Ford Escort hab ich mir damals gekauft ...

STANDARD: Da verwundert es nicht, dass Sie "Versagensängste" entwickelten gegenüber Ihren Kollegen an der Wirtschaftsuni, mit ihren Golf GTIs und Surfbrett am Dach.

Tojner: Als ich nach Wien kam, hatte ich kein Geld, einen harten Dialekt und in der Schule war ich auch nicht herausragend gewesen. Als ich diese hochdeutsch sprechenden Herrschaften aus Döbling sah, dachte ich: "Pffff, da kannst dich schön anstrengen." Sechs Monate später hatte ich ein Begabtenstipendium, die Eltern waren erstmals stolz auf mich und ich gab den GTI-Fahrern Nachhilfe. Da ist mein Selbstvertrauen gewachsen. Ich hab dann in der Mindestzeit Wirtschaft und Jus studiert.

STANDARD: Mit der Meinl Bank haben Sie ab 1998 Ihre Risikokapital-Fonds aufgezogen. Ihre Deals trugen Ihnen Beinamen wie "Mister Managementfee" und "Heuschrecke" ein, Sie gelten bis heute als Grenzgänger. Diese Zuschreibungen machen Sie grantig, oder?

Tojner: Ich finde das ärgerlich. Weil heutzutage werde ich vom Bundeskanzler als Risiko-Kapital-Legende eingeladen ...

STANDARD: Sie sind eine Legende?

Tojner: Eine Venture-Capital-Legende schon, denke ich. Management-Fees hatten einen schlechten Beigeschmack, obwohl sie bei vielen Geschäften verrechnet wurden. Solche Gebühren fallen auch an, wenn ein Deal schiefgeht, das ist international üblich. Unsere Fonds haben mehr als 50 Unternehmen finanziert, nur sechs gingen schief, es wurden viele Jobs geschaffen. Aber all das wird nie gesehen. Und ich bin Entrepreneur, kein Grenzgänger. Ich weiß was ich tue, auch in meiner finstersten Stunde.

Den Sportwettenanbieter Bwin (davor: Betandwin) haben Tojner & Co im Jahr 2000 an die Börse gebracht. Hannes Androsch (2. von rechts; hier bei einer Pressekonferenz 2006) war beteiligt und im Aufsichtsrat.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Stichwort finster: Auf Ihrem Bürohaus steht die vom Künstler Ronald Kodritsch geschaffene Figur eines Mannes, der in die Tiefe springen will. Sind Sie manchmal verzweifelt?

Tojner: Natürlich bin ich manchmal verzweifelt.

STANDARD: Der Mann in Anzug und Hut sollte nur ein Jahr da oben am Abgrund stehen. Haben Sie sich nicht getraut, ihn springen zu lassen?

Tojner: Nein, wir haben ihn lieben gelernt, den Mann.

STANDARD: Waren Sie verzweifelt, als der Staatsanwalt jahrelang in der Causa Starbet gegen Sie ermittelt hat? Es ging um ein schief gelaufenes Investment, Anleger haben das angezeigt. Der heutige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hat Sie verteidigt.

Tojner: Ja, und wir waren von Anfang sicher, dass das Starbet-Verfahren eingestellt wird, daher hat mich das nicht nervös gemacht. Das war ein hochriskantes Risikokapital-Investment, der Fehler war wahrscheinlich, dass man es Kleinanlegern verkauft hat.

STANDARD: Heute gehört Ihnen die Industriegruppe Montana Tech mit 760 Mio. Euro Umsatz , Sie nennen sich "industrieller Entrepreneur". Warum nicht einfach Industrieller?

Tojner: Weil sich kein Industrieller ohne gesamtheitlichen entrepreneurical spirit ein Projekt wie den Heumarkt antut. Das bedarf besonderen Unternehmergeistes.

STANDARD: Sie sagten einmal, die Österreicher waren Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz erst "dankbar", als er die Formel 1 nach Österreich brachte. Muss man Unternehmern dankbar sein?

Tojner: Nein, aber sie müssten anerkannter sein, so wie das etwa in den USA der Fall ist.

STANDARD: Herr Mateschitz ist doch eh ein Heiliger in Österreich ...

Tojner: Aber in Deutschland wird er schon wieder angefeindet, wegen seines Fußballklubs. Vielleicht will auch er Anerkennung.

STANDARD: Anerkennung will doch jeder Mensch.

Tojner: Das stimmt, und auch ich will Anerkennung: Ich bin keine Bank, ich bin kein Fonds, ich bin eine Einzelperson, die versucht, dieses Projekt Heumarkt auf den Weg zu bringen. Und ich habe die Hoffnung, dass man nach der Fertigstellung dazu sagen wird: Das war eine Vision, das war eine wegweisende Investition, wir sind alle froh, dass wir das haben.

STANDARD: Der Künstler, der den Schriftzug "Tomorrow" auf Ihr Haus hier gesetzt hat, meißelt täglich einen Würfel aus einer Marmorplatte und trotzt so der Zeit Unvergängliches ab. Sind Ihre Hinterlassenschaften Industrieunternehmen, Hotels und Tojner-Tower?

Tojner: Er wird nicht so heißen. Ich wäre stolz, im öffentlichen Raum ein architektonisch anspruchsvolles Projekt mitgestaltet zu haben. In New York wurde unlängst eine vom Architekten Calatrava gestaltete U-Bahnstation eröffnet: Kunst im öffentlichen Raum, ganz toll.

STANDARD: In New York richten Sie gerade ein Townhouse her. Turm und Eislaufplatz in der Stadt gibt es dort auch – bauen Sie in Wien etwa Ihr kleines Rockefeller Center?

Tojner: Klein? Der Eislaufplatz hier ist ums Sechsfache größer als der im Rockefeller Center.

STANDARD: Sie sagen, um sich Gehör zu verschaffen, müsse man politisch aktiv sein. Gehen Sie auch noch in die Politik?

Tojner: Nein. Das würde meinen entrepreneurical spirit schwerst hemmen, und den kann ich leider nicht unterdrücken.

STANDARD: Den Wiener Grünen hat der Heumarkt Urabstimmung und Zerreißprobe eingetragen. Scheitern die wegen Ihres Vorhabens?

Tojner: Nein. Ich bin überzeugt, dass die positiven Kräfte in der Grünen Partei in der Mehrheit sind, und das Projekt hat viele Unterstützer. Die letzte Hürde werden wir auch noch nehmen.

Der Erzengel Michael ist der Stadtheilige von Haag. Michael Tojner ist zwar nicht heilig, besitzt aber die Haager "Erzengel" Michael Beteiligungsverwaltungs GmbH.

STANDARD: In der Stadt Wien sagt man, Sie verfolgten das Projekt mit missionarischem, fast heiligem Eifer. Sankt-Heumarkt-Michael?

Tojner: Meine Mutter nannte mich nach dem Erzengel Michael, der ist Wappenfigur der Stadt Haag. Mein Großvater war Kupferschmied und hat den von ihm hergestellten Erzengel auf der Haager Kirche befestigt. Das reicht mir. Wir werden den Erzengel Michael nicht am Intercont anbringen.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht’s im Leben?

Tojner: Um die Familie in erster Linie und darum, dass man mit sich selbst im Reinen ist und zufrieden mit dem, was man macht. (Renate Graber, 9.4.2017)