Wo geht es hier, im Werk X, zum Tanzvergnügen der alten Tante Sozialdemokratie? Zeynep Buyraç auf Partykurs, im Hintergrund: Simon Alois Huber (li.) und Dennis Cubic.

Foto: Yasmina Haddad

Wien – Ödön von Horváths Volksstück Italienische Nacht (1931) enthält die bissigste Abrechnung mit den politischen Massenbewegungen der Weimarer Republik. Die gesetzten Vertreter der Sozialdemokratie schlagen seelenruhig ihre Tarockkarten auf den Biertisch, während im Hintergrund die Nazis brandgefährlichen Unfug krakeelen.

Die rote Parteijugend radikalisiert sich. Doch selbst den honorigsten Jusos kommt die Erotik in die Quere. In Gestalt der Horváth-Fräuleins, die trotz vieler falscher Kalenderweisheiten auf die Authentizität ihrer Gefühle pochen. Gegen die Liebe ist kein Marx gewachsen. Harald Posch, wieder inszenierender Co-Leiter des Werk X in Wien-Meidling, geht noch ein paar Schritte weiter. Seine Horváth-Überschreibung nennt sich Demokratische Nacht – Du Prolet! Posch gießt den Schaum des Neopopulismus in das ehrwürdige Gefäß des Horváth-Textes. Und siehe da, das Stück hält noch heute, was sich sein Autor vor gut 80 Jahren von ihm versprochen haben mag.

Ein Bierzelt mit Planen dient als Begegnungsstätte des (nicht nur politischen) Prekariats (Ausstattung: Gerhard Fresacher). Martin (Dennis Cubic), ein Dampfplauderer in Ballonseide, gehört der Jungen Generation der Sozialdemokratie an. Der Mund quillt ihm über vor lauter Berechnungsformeln aus der Sozialbürokratie.

Seine Mit- und Gegenspieler sind allesamt Gewächse aus Frank-Castorf-Land. Frust wie Lust werden von diesen Agitatoren wider den politischen Istzustand lautstark herausgebellt. Da gibt es Lina (Zeynep Buyraç), die ihr Kind fünf Minuten lang bei den Zuschauern parken will: "Alleinerziehend, Sie wissen schon. Arschkarte!" Da ergeht sich der massige SP-Stadtrat (Wojo van Brouwer) in beschwichtigenden Redensarten.

Tatsächlich wird der Horváth-Sound sehr wirkungsvoll transformiert. Die Beteiligten schreien ihr Unbehagen heraus. Eine Videokamera filmt die Vertreter des politischen Establishments beim schäbigen Stillen der Lust. Immer wieder zieht ein Nationaler in Lederhosen seine Bahnen. Sein Fähnchen enthält ein eckiges Emblem. Die Vertreter des kollabierenden Mittelstandes turnen derweil über die Wände eines flachgelegten Dixi-Klos. Klappe auf, Sozi rein, Klappe zu.

80 Minuten vergehen so im Fluge, auch wenn Poschs Aneignung der Italienischen Nacht ein gutes Textgedächtnis voraussetzt. Die Parteijugend entschlüpft aus der Umarmung durch die Altvorderen, und der Stadtrat absolviert das letzte Horváth-Bild im Alleingang: im Stich gelassen von den Gesinnungsgenossen und von allen guten Geistern. Spruchtafeln zeigen den Unflat, der auf rechten Homepages gepostet wird. Flüchtlinge? "Der Müll Afrikas." Ein lärmendes Requiem auf die Linke; ein starkes Stück. (Ronald Pohl, 7.4.2017)