Im Athener Konservatorium presst der in Rumänien geborene Künstler Daniel Knorr Müll, den er auf den Straßen Athens fand, in Bücher hinein.

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Mastermind der Documenta 14: Adam Szymczyk.

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Mit einem eindrücklichen Bild wurde am Donnerstag die Documenta für das Fachpublikum eröffnet: Ein Team und Künstler der vielleicht weltweit bedeutendsten Großausstellung sitzen dicht gedrängt auf der Bühne jenes Konzerthauses, das man für die Pressekonferenz auserkoren hatte. Zunächst nicht, um zu sprechen, sondern um ein Stück des Komponisten Jani Christou aufzuführen. Ein Stück, das sein hundertköpfiges Ensemble grunzen, raunen, schreien lässt, irgendwie animalisch, jedenfalls aber alle Sprachbarrieren überwindend.

Die unzweideutige Botschaft: Wir sind ein großer Organismus, der eine neue Sprache im Unmittelbaren, im Körperlichen sucht. Man wird später erfahren, dass es hier nicht zuletzt darum gehe, ein "Parlament der Körper" zu etablieren, eine demokratische Kommunikationsform abseits von "nationalen Grenzen". Dezentralisiert, enthierarchisiert. Symbolisch dafür sitzt Adam Szymczyk inmitten seines "denkenden Organismus", wie er die Documenta in Interviews nannte, als nur eine Zelle von vielen.

Szymczyk (geb. 1970) ist jener Mann, der die Idee hatte, die Schau erstmals seit ihrer Gründung 1955 nicht nur am Stammort Kassel, sondern außerdem in Athen stattfinden zu lassen. Als "Iterationen" bezeichnet er die beiden "gleichberechtigten" Ausgaben – mit einem Begriff, der auch die Bedeutung der schrittweisen Annäherung an eine Lösung in sich birgt.

Verlernen des Gewussten

Das Offene, das Flottierende hat er der Documenta des Jahres 2017 generell auf die Fahnen geschrieben. "Lernen von Athen", so lautet deren Motto, wobei stets betont wurde, dass es nicht ums Ergebnis, sondern um den Prozess gehe. Um einen Prozess, der zunächst einmal ein "Verlernen" des (vermeintlich) Gewussten voraussetzt, wie Szymczyk sagte, nachdem er von Christous Stück zur Sprache zurückgefunden hatte.

Was das konkret bedeutet, darüber hielt man sich lange im Unklaren. Sicher ist nun allerdings: Es kommt einiges an Arbeit auf die Besucher zu. 160 Künstler sind beteiligt, über rund 50 Schauplätze erstreckt sich die Schau, große Museen sind ebenso darunter wie Bibliotheken oder historisch bedeutsame Orte. Wo man beginnt? Jedenfalls solle man auch die kleinen Schauplätze berücksichtigen, sagt Szymczyk. Dass man dem Fluss Ilisos folgen könnte, rät eine seiner Kuratorinnen. Ob große Namen eine Windrichtung vorgeben könnten? Eher nicht, Szymczyk setzte auf das wenig Bekannte.

Masken und Büroschreibtische

So, und was gibt es nun zu sehen? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage geht man dann doch als Erstes ins Emst, das Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst. Über alle fünf Etagen erstreckt sich das Spannungsfeld, das die Documenta dort errichtete. Im Untergeschoß trifft man auf Masken des Eingeborenen-Künstlers Beau Dick, ganz oben warten nebst einer Installation aus Büroschreibtischen Farbflächengemälde von Stanley Whitney.

Dazwischen arrangiert sich eine große Bandbreite von Arbeiten um Stücke einer Erzählung von der Entgrenzung. Um die Idee des Verwebens geht es etwa, wo poetische Fadenbilder Maria Lais einerseits minimalistischen Linienstudien der Künstlerin Geta Braatescu gegenübergestellt sind und andererseits einem dokumentarischen Video, das Einblicke in einen Sweatshop gibt.

Auch österreichische Positionen sind im Emst untergebracht. Zum einen sind Gemälde des Malers Ashley Hans Scheirl zu sehen, zum anderen die Installation Debris Field von Lois Weinberger. Darin zeigt der Künstler Gegenstände, die er in der Umgebung seines Elternhauses ausgrub.

Meterhoch Müll

Eine der Verbindungslinien, die man hier quer durch die Stadt Athen ziehen könnte, führt zum Konservatorium. Im Innenhof türmt sich meterhoch Müll, den der Künstler Daniel Knorr auf den Straßen Athens sammelte, um ihn in seiner Performance in Bücher zu pressen und ihn auf diese Weise neu "lesbar" zu machen.

Das Konservatorium ist ansonsten nicht zuletzt der Klangkunst gewidmet. Im stimmungsvollen Keller, der nicht fertiggestellt ist, breiten sich etwa die Klänge von Musikinstrumenten aus, die die Künstlerin Nevin Aladag aus Möbeln konstruierte. Gleich nebenan, im Garten des Byzantinischen Museums, ist indes ein versteckteres Beispiel für den Dialog zwischen Moderne und Tradition zu finden, auf den Szymczyks Documenta aus ist: Im malerischen Garten läuft eine Audioinstallation von Benjamin Patterson, in der sich Froschgequake mit menschlichen Stimmen mischt. (Roman Gerold aus Athen, 8.4.2017)