Für den britischen Außenminister Boris Johnson haben die Kontakte in die USA derzeit Priorität, sagt er.

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Washington/London/Damaskus – Der britische Außenminister Boris Johnson hat am Samstag seinen geplanten Moskau-Besuch nach dem Giftgas-Einsatz in Syrien abgesagt. "Die Entwicklung in Syrien hat die Lage fundamental verändert", teilte Johnson in einer Erklärung mit. "Meine Priorität sind nun die Kontakte mit den USA und mit anderen vor dem G-7-Treffen am 10. und 11. April."

Dadurch solle eine koordinierte internationale Antwort für einen Waffenstillstand und einen intensiveren politischen Prozess erreicht werden. Russland hatte den US-Luftangriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt nach einem Giftgas-Einsatz in der syrischen Provinz Idlib scharf kritisiert.

USA schließen weitere Aktionen nicht aus

Nach dem Angriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt haben die USA weitere Aktionen nicht ausgeschlossen. "Wir sind darauf vorbereitet, mehr zu unternehmen, aber wir hoffen, dass das nicht nötig sein wird", sagte die amerikanische UNO-Botschafterin Nikki Haley. Der syrische Präsident Bashar al-Assad dürfe nie wieder chemische Waffen einsetzen.

Als Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz des syrischen Militärs vom Dienstag mit mehr als 80 Toten hatte US-Präsident Donald Trump in der Nacht auf Freitag einen Luftwaffenstützpunkt mit Marschflugkörpern in dem Bürgerkriegsland angreifen lassen.

Das löste eine Krise mit Russland aus. Kremlchef Wladimir Putin verurteilte als Angriff auf die Souveränität Syriens. Assad nannte den Einsatz "rücksichtslos und unverantwortlich". US-Außenminister Rex Tillerson bezeichnete die russische Reaktion am Freitag als "sehr enttäuschend" und kritisierte, dass Moskau weiterhin die Regierung Assad unterstütze, "ein Regime, das solche schrecklichen Angriffe auf sein eigenes Volk ausführt".

Schadensausmaß unklar

Über das Ausmaß der Schäden auf dem beschossenen Flugplatz gab es unterschiedliche Darstellungen. Nach Angaben von Beobachtern flogen syrische Kampfjets weniger als 24 Stunden nach dem Angriff des US-Militärs neue Luftangriffe von dort aus. "Zwei Suchoi-Maschinen sind am Freitag von der Luftwaffenbasis Al-Shayrat aufgestiegen und haben Luftangriffe in Gebieten östlich der Stadt Homs geflogen", erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Auch regierungsnahe Medien berichteten, dass Flugzeuge gestartet und gelandet seien.

Al-Shayrat liegt in der zentralsyrischen Provinz Homs. Der Gouverneur der Provinz hatte erklärt, der angegriffene Flugplatz sei stark zerstört worden. Aus syrischen Militärkreisen hieß es, zwölf Kampfjets und Hubschrauber, Treibstofflager sowie zwei Start- und Landebahnen seien getroffen worden. Laut dem Pentagon wurden 20 Maschinen zerstört. Das Luftabwehrsystem sei zudem außer Gefecht gesetzt und Hangars entweder zerstört oder beschädigt worden.

Trump hatte den Angriff auf den Stützpunkt damit begründet, dass der mutmaßliche Chemiewaffeneinsatz von dort aus ausgeführt wurde. Dabei waren am 4. April nach neuesten UNO-Angaben mindestens 84 Menschen ums Leben gekommen und 546 verletzt worden. Syriens Regierung weist die Verantwortung dafür zurück und gibt wie auch Russland Rebellen die Schuld. Moskau ist der engste Verbündete Assads.

Das Pentagon prüft, ob Russland an der Vorbereitung oder Durchführung des mutmaßlichen Angriffs beteiligt war. "Wir haben derzeit keine Kenntnisse über eine russische Beteiligung, aber wir untersuchen das", sagte ein Vertreter, der nicht namentlich zitiert werden wollte. Das Mindeste, was Moskau vorzuwerfen sei, sei, dass es den Angriff nicht verhindert habe.

Moskau vorab informiert

Das US-Militär geht davon aus, dass sich bis zu 100 russische Militärangehörige auf dem Flugplatz befanden. Das Pentagon hatte Moskau im Voraus über den Angriff informiert. Laut dem Russland-Experten Gerhard Mangott hätte Moskau die US-Marschflugkörper mit den eigenen Luftabwehrraketen zumindest teilweise abfangen können. Der US-Angriff habe Russland "bloßgestellt", weil er gezeigt habe, dass seine Präsenz eine westliche Intervention nicht abschrecken könne, sagte Mangott am Freitagabend am "Runden Tisch" des ORF.

Die Entscheidung Trumps stürzte das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern in eine schwere Krise. Russland kritisierte den Angriff der USA scharf. Das Verteidigungsministerium kündigte an, die syrische Luftabwehr zu verstärken. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte: "Dieser Schritt Washingtons fügt den russisch-amerikanischen Beziehungen, die sich ohnehin schon in einem elenden Zustand befinden, einen signifikanten Schaden zu."

Die syrische Armee habe keine Chemiewaffen mehr, das habe nach der Entwaffnung auch die zuständige UNO-Organisation bestätigt, fügte Peskow hinzu. Das Pentagon erklärte dagegen, dass auf dem Stützpunkt Chemiewaffenbestände gelagert wurden.

Zweite Kehrtwende in Syrien-Politik

Die US-Regierung vollzog mit dem Angriff eine zweite Kehrtwende in der Syrien-Politik. Noch in der vergangenen Woche hatte US-Außenminister Tillerson gesagt, Assads Schicksal werde vom syrischen Volk bestimmt. Das war eine Abkehr von der Linie der Vorgängerregierung unter Barack Obama, die den Sturz Assads forderte.

International gab es viel Zuspruch für den US-Angriff. "Die USA demonstrieren mit den Luftschlägen die Entschlossenheit, die es angesichts der barbarischen chemischen Angriffe braucht", schrieb etwa EU-Ratspräsident Donald Tusk auf Twitter. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande betonten, dass Assad die "alleinige Verantwortung für diese Entwicklung" trage. Es handle sich um "eine Antwort auf ein Kriegsverbrechen", meinte der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) äußerte Verständnis für die Absicht, einen weiteren Chemiewaffen-Einsatz zu verhindern, fügte aber hinzu, dass der Syrien-Konflikt nicht militärisch gelöst werden könne.

Beteiligen wollen sich die europäischen Verbündeten aber nicht an möglichen weiteren Militärschlägen gegen Assad. Die in Syrien aktiven Tornado-Aufklärungsflugzeuge würden nur im Kampf gegen den IS eingesetzt, betonte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Freitagabend. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte gegenüber der "Welt" (Samstagsausgabe) vor einer Involvierung der NATO. "Die NATO darf nach dem US-Luftangriff auf keinen Fall in den Syrien-Konflikt hineingezogen werden. Das wäre verheerend", sagte er. (APA, 7.4.2017)