V. li.: Bürgermeister Peter Stockmann (Christian Taubenheim), sein Bruder, der Badearzt Thomas Stockmann (Alexander Hetterle), dessen Frau (Katharina Hofmann) und Tochter (Theresa Palfi).

Foto: Christian Brachwitz

Linz – Der Volksfeind in Henrik Ibsens Stück ist kein Böser, sondern einer, der es gut meint: Doktor Stockmann (Alexander Hetterle) ist mit Frau (Katharina Hofmann) und Tochter (Theresa Palfi) zurück in das Dorf seiner Kindheit gesiedelt, um ein neu entstehendes Kurbad zu führen. Als er aber entdeckt, dass das Wasser vom umliegenden Industriegebiet verseucht ist, ist das für ihn ein klarer Fall.

Doch nur für ihn. Die Entscheidungsträger der Gemeinde (Christian Taubenheim als Bürgermeister, Lutz Zeidler als Aslaksen) sehen das anders. Jede öffentliche Warnung würde das Image und damit auch den Erfolg des Badprojekts nachhaltig ruinieren, jede Sanierung aber die Gemeindekassen.

Tourismus, Arbeitsplätze, Grundstückswerte hier, Gesundheit da – das reichte schon 1881 zum Erfolg und taugt auch heute noch, weil der innere Mechanismus des Stücks aus Integrität, Einzelinteressen, systemischen Abhängigkeiten und Gemeinschaftswohl über den konkreten Fall hinaus von Ibsen exemplarisch trefflich gebaut ist! Überhaupt ist der Stoff rund, eindeutig in seinem Dilemma, ohne plump zu sein.

Und dann und wann Mörtel

Trefflich gebaut hat auch Florian Barth die Bühne. Ihr Kasten gurgelt seinen Inhalt bis vor die Füße der ersten Sitzreihe und zeigt den Umzug des Arztes an: Sessel, halb ausgerollter Teppichboden, pralle Müllsäcke, Packen von Dämmmaterial. Auch zwei Kisten Bier sind darunter. Im Hintergrund wuselt schon zum Einlass das Ensemble herum. Von nebenan lässt das Bad mit Baulärm von sich hören. Dann und wann rieselt weißer Mörtel vom Schnürboden. Als Gruß oder schlechtes Vorzeichen.

Wenn die Szene sich dreht, sitzt der Zeitungsmann Hovstadt – oder Hovschtadt, man könnte sich ensembleintern auf eine Aussprache einigen – an aufgebockten Pressspanplatten in seiner Redaktion (Sven Mattke). Oder ist man bei Stockmanns Schwiegervater und Mitverschmutzer des Wassers zuhause (Horst Heiss). Die Bühne ist genauso konkret wie ohne tiefere Bedeutung. Ein herrlicher Spielplatz also, ein Angebot, das man annehmen muss! Das Regisseur Christoph Diem aber relativ unbeeindruckt links liegen lässt. Hämmern, pinseln – es gäbe so viel, das sich hier machen ließe!

Das Publikum als Volk

Hier beginnt die Schwäche des Abends, nämlich dass seine Personenführung so schlicht und konservativ ist mit der Tendenz zum lauten Organ. Nicht nur, wenn die Interessenvertreter sich Schreiduelle quer durch den zur Volksversammlung umfunktionierten Zuschauerraum liefern.

Auch haben Diem und sein Dramaturg den Text sachte aktualisiert – von "alternativen Wahrheiten" ist einmal die Rede. Das glückt, damit einher geht aber eine für die Aussagekraft zwar nicht tragische, trotzdem zuweilen ärgerliche Verflachung mancher Figuren. Nicht einmal zu Ibsens Zeit hat Arzttöchterchen Petra, eine erwachsene Frau, so naiv "Vati" gesagt wie hier und heute in Linz! Das zeigt ein Textvergleich.

Billing (Markus Pendzialek), Mitarbeiter der örtlichen Zeitung und ebenso im Original weitaus akzentuierter, ist zu einem Bürschchen geworden, das die meiste Zeit so schlotternd auf einer ausgefahrenen Hebebühne kauert wie der dünne Schnäuzer auf seiner Oberlippe. Das beraubt ihn zwar seiner Funktion im Text, ist aber immerhin hoch vergnüglich!

Mehr Mut und Potential

Betörend schön ist eine Nebelwand, über deren bis ins Publikum spürbaren kalten Hauch projizierte Badeszenen ziehen. Auch für sie zeichnet Barth verantwortlich. Auch sie zeigt, dass wohl mehr Mut und Potential dagewesen sind, als letztlich auf die Bühne gefunden haben. (Michael Wurmitzer, 9.4.2017)