Nathan (Günter Franzmeier) blickt immer wieder fragend in seine eigene Seele (Puppe geführt von Stefan Suske).

Foto: Alexi Pelekanos

Wien – Seit Religion verschärft ein Gesprächsthema ist, findet sich auch Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise (1779) – das Religionsfrieden stiftende Drama der Aufklärung – auf vielen ambitionierten Spielplänen der Theaterhäuser. Das darin enthaltene Plädoyer für Toleranz gipfelt in der berühmten Ringparabel, mithilfe derer Nathan, ein reicher Jude aus Jerusalem, dem Fürsten Saladin ein Religionsranking ausredet ("Welches ist die einzig wahre Religion?"). Nathans Antwort: Allen Gläubigen, Juden, Christen oder Muslimen, sei die eigene die wahre Religion.

Wie sehr der in der Volkstheater-Inszenierung gutmeinend gezeichnete Nathan (Günter Franzmeier) darüber hinaus aber mit sich hadert, verdeutlicht Regisseur Nikolaus Habjan mit einer Persönlichkeitsdopplung. Er stellt dem unruhigen Titelhelden eine Puppe seiner selbst zur Seite, die sich dann und wann aus dem Boden zur Zwiesprache erhebt.

Publikumsferner Blankvers

Das erzeugt szenisch Wirkung, hilft den bleischweren Blankversen aber auch nicht auf die Beine. An ihnen müht sich das Volkstheater-Ensemble vergeblich ab. Dass vieles an dieser Inszenierung publikumsfern passiert, liegt auch daran, dass das Schauspiel sich auf die tief drinnen im Bühnenraum liegende Drehbühne konzentriert.

Die dort mittig aufgetürmte Ruine macht aber auch ohne Text Eindruck (Bühne: Denise Heschl, Jakob Brossmann). Es regnet zu Anfang Asche auf das düstere Maueragglomerat Jerusalems, in dem die Häuser von Muslimen, Christen und Juden wie ineinandergebaut scheinen. Ein Feuer hat Nathans Heim zerstört, und wie davon unmittelbar betroffen, umgibt auch den Sultan (Gabór Biedermann) beim Schachspiel mit seiner Schwester (Steffi Krautz) ruiniertes Gebälk. Verkohlte Leichen liegen auf den Treppen, der Kreuzzug hat gewütet. Man denkt an Bilder aus Syrien.

Keine echte Jüdin

Nathans Tochter Recha (Katharina Klar) war in letzter Sekunde von einem Tempelherrn (Christoph Rothenbuchner) aus dem Feuer gerettet worden. Amme Daja (Claudia Sabitzer) wittert in ihm nun den Bräutigam. Denn sie weiß, dass Recha in Wahrheit eine getaufte Christin ist, die von Nathan lediglich adoptiert und im jüdischen Glauben erzogen worden ist.

Indessen bekommt der Patriarch von Jerusalem Wind von der Glaubensverfälschung. Der Hardliner wird von drei Ensemblemitgliedern als Ganzkörperpuppe im Rollstuhl gespielt – einer der spannendsten Momente der Aufführung. Die für Nikolaus Habjans Puppenbau typischen funkelnden Augen blitzen mit den um den Hals hängenden schweren Kreuzketten um die Wette.

Welche Welt zeigt sich hier eigentlich? Eine historische Kreuzzugszene, eine philosophische Fallstudie, ein lehrreiches Märchen? Habjan neigt zu Letzterem, zumindest baut er eine deutliche Distanz zum Realen auf. Denn von Beginn an wird kenntlich, dass Nathan in einem Gedankengebäude lebt, dessen handelnde Figuren einem anderen Seinszustand angehören als er. Berührt er Recha, so "elektrisiert" es ihn.

Arabische Übertitel

Vielleicht erinnert Nathan Geschehnisse einer vergangenen Zeit, für deren Protagonisten heutige Diskussionen leider zu spät kommen. Am Ende breitet er denn über alle das Leichentuch und entkommt so klug dem tranigen Ende im Original.

Für diese Produktion hat das Volkstheater englische und arabische Übertitel angefertigt – ein (noch) seltener und lobenswerter Schritt zur Öffnung des Hauses. Vielleicht wollte die Inszenierung möglichst alle Geschmäcker bedienen, also niemanden verstören. Warum sonst hätte sie so bieder ausfallen sollen? (Margarete Affenzeller, 9.4.2017)