Man nehme ein unbebautes Grundstück, vereinbare mit dem Eigentümer eine Nutzungsdauer und setze darauf ein Studentenheim in Kistenbauweise. Vorvergangene Woche wurden die neuen Pop-up Dorms in der Seestadt Aspern eröffnet.

"Approved for transport under customs seal" steht auf einer kleinen Metallplakette, die an die Containertür geschraubt ist. Darunter ist die eingravierte Zahlenchiffre D/GL-1220-62/2000 zu lesen. Der Rost hat dem Schild zugesetzt. "Ich überlege mir manchmal, wo dieser Container schon überall gewesen sein muss", sagt Benoît Bouchet. "Er ist ramponiert und hat echt viel Charakter. Aber das muss so sein. Ohne Kratzer und Beulen kann ich mir so etwas gar nicht vorstellen."

Benoît kommt aus Lyon und studiert Material Sciences an der TU Wien. Vor ein paar Wochen erst ist er eingezogen. Er ist einer von insgesamt 86 Studierenden, die im Studentenheim Pop-up Dorms in der Seestadt Aspern im Nordosten Wiens wohnen. Wie die meisten seiner Wohnkollegen sitzt auch er abends an einem der runden Tische in der großen Halle, im atmosphärischen Schlagschatten des ausrangierten 40-Fuß-Containers, und büffelt aus seinen Skripten.

Foto: Daniel Hawelka

Das wirklich Ungewöhnliche an diesem Ort ist aber nicht der räudige Überseecontainer, sondern sein Rundherum: Benoîts Wohnadresse nämlich hat ein Ablaufdatum. In drei Jahren soll das modular aufgebaute Heim abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Jede einzelne Studenten-WG lässt sich per Kran auf einen Tieflader verfrachten und kann dann von A nach B gerollt werden. Vor einer Woche wurde das mobile Studentenheim, das Erste seiner Art in Österreich, im Beisein der Projektpartner feierlich eröffnet.

Bauland mit Engpass

"Was Bauland betrifft, haben wir es derzeit mit einem der größten Engpässe und mit entsprechend explodierenden Grundstückspreisen zu tun", sagte Christoph Chorherr, Wiener Gemeinderat und einer der Initiatoren dieses Projekts, bei der Eröffnung. "Dieses Konzept ist eine gute Möglichkeit, um leerstehende Parzellen, die aus welchen Gründen auch immer erst in einigen Jahren zur Verwertung kommen, temporär zu nutzen."

Foto: Daniel Hawelka

Das Konzept dafür stammt von F2 Architekten und Obermayr Holzkonstruktionen. Sie konnten sich vor zwei Jahren im Wettbewerb gegen mehr als 40 Konkurrenten aus ganz Europa durchsetzen. Schon seit 2005 bieten die beiden oberösterreichischen Firmen das selbstentwickelte System an. 35 solcher Projekte konnten bislang realisiert werden. Mit 22 Holzmodulen ist das Studentenheim in der Seestadt Aspern das bislang größte Projekt.

"Die Idee war, ein Fertigteilsystem zu entwickeln, das nicht nach Container aussieht, sondern gewisse wohnliche, architektonische Qualitäten bietet", sagt Markus Fischer, F2 Architekten. "Es ist, wenn Sie so wollen, die bestmögliche Kombination aus Ästhetik und wirtschaftlicher Vorfertigung."

Bild: Die Aufnahme zeigt den Aufbau des ersten Abschnitts der "Pop-up Dorms" im Jahr 2015.

Foto: OeAD

Jede Einheit misst exakt 16,80 Meter in der Länge und 5,50 Meter in der Breite. Die Höhe des im Werk komplett vorgefertigten Holzriegelbaus beträgt 3,50 Meter. Die Außenmaße liegen weniger in der Architektur als in der Straßenverkehrsordnung begründet: "Das ist die größtmögliche Größe, die man transportieren kann, ohne dass dabei horrend hohe Kosten für Sondertransporte anfallen", so Fischer.

Jede einzelne Kiste wiegt rund 30 Tonnen und verfügt über acht Aufhänge- und acht Fundamentpunkte, an denen sie per Autokran aufs Grundstück gehievt werden kann. Die 75 Quadratmeter großen Wohnmodule umfassen jeweils vier Studentenzimmer, zwei Bäder und eine kleine Wohnküche. Dank 36 Zentimeter dick gedämmter Außenwände und einer integrierten Luftwärmepumpe erreicht jedes Modul Passivhausqualität. Auf dem Dach gibt es zudem eine Photovoltaik-Anlage, die Strom zuspeist.

Foto: OeAD

"Mich hat das System von Anfang an fasziniert", meint Günther Jedliczka, Geschäftsführer der OeAD Wohnraumverwaltung. Gemeinsam mit home4students kümmert er sich um Betrieb und Vermietung. Die Module wurden in Oberösterreich komplett fertig eingerichtet und dann in einem Stück nach Wien gefahren – mitsamt Küchenzeile, Badmobiliar, Schreibtisch, Schrank und Bett. "Am Ende mussten nur noch Bettwäsche und Handtücher ergänzt werden", so Jedliczka.

175.000 Euro pro WG

"Die 22 Wohnmodule sind in sich so perfekt geplant, dass der Bauaufwand vor Ort auf ein absolutes Minimum reduziert werden konnte", sagt Sabine Straßer, Geschäftsführerin von home4students. Die Investitionskosten betragen 175.000 Euro pro Wohneinheit beziehungsweise 2300 Euro pro Quadratmeter. "Die geringen Errichtungskosten und die entsprechend niedrige Miete, die wir an den Bauträger zu zahlen haben, können wir eins zu eins an unsere Bewohner weitergeben." 355 Euro kostet ein Studentenzimmer pro Monat – Betriebskosten und WLAN inklusive.

Foto: Geli Goldmann

"Der günstige Mietpreis war definitiv ein Argument dafür, hierherzuziehen, auch wenn das Heim ziemlich weit draußen liegt", sagt der 19-jährige bosnische Informatik-Student Lazar Petrovic. Seine Klamotten liegen gerade in der Waschmaschine. Die Schleudergeräusche dringen aus dem Inneren des Containers. "Der einzige Nachteil der provisorischen Bauweise ist die Akustik. Man hört überall alles durch. Aber für Studenten ist das eh okay."

Für fünf Umzüge gerüstet

Mit am Tisch sitzt Jaccoline Zegers aus den Niederlanden. Die 21-jährige Studentin deutet auf die komplett verglasten, einsehbaren WG-Küchen, die im Erdgeschoß und ersten Stock die zentrale Halle säumen. "Als Holländerin ist man ja eine gewisse Offenheit und Transparenz gewohnt. Trotzdem ist es am Anfang ziemlich irritierend, beim Nudelkochen quasi in der Auslage zu stehen. Aber man gewöhnt sich daran. Letztendlich schauen beim Kochen alle Menschen gleich aus."

Foto: Geli Goldmann

Das Studentenheim ist für eine technische Nutzungsdauer von 40 Jahren ausgelegt. Jedes einzelne Wohnmodul ist so ausgelegt, dass es theoretisch fünf Umzüge übersteht. "Wir haben uns ausgerechnet, dass sich die Finanzierung nach 20 Jahren amortisiert haben wird", erklärt Michael Gehbauer, Geschäftsführer der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA), die das Projekt entwickelt und errichtet hat. "Damit haben wir einen gewissen Spielraum für Unvorhergesehenes, und den werden wir auch brauchen, denn noch haben wir keine Erfahrung, wie sich die permanenten Auf- und Abbauten auf die Konstruktion auswirken werden."

Temporäre Kiste für alle?

Die Pop-up Dorms könnten Schule machen. Vorausgesetzt natürlich, die betroffenen Eigentümer sind bereit, es der Wien 3420 Aspern Development AG gleichzutun und ihre bisweilen unbebauten Grundstücke für bestimmte Zeit kostenlos beziehungsweise günstig zur Verfügung zu stellen. "Meine Vision ist, das Projekt zu einem Best-Practice-Beispiel für sozial Bedürftige und Geflüchtete auszubauen", sagt Chorherr. "Damit könnte es uns gelingen, die kurzfristigen Wohnungsengpässe zu überbrücken."

Sollte es die Stadt Wien damit ernst meinen, wäre sie gefordert, sich ein Anreizmodell für Eigentümer zu überlegen und die schamlos grassierende Grundstücksspekulation in der Großstadt charmant auszunützen. (Wojciech Czaja, 10.4.2017)

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Foto: OeAD