Mit der Angst der Menschen lassen sich gute Geschäfte machen.

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STANDARD: Sieht man sich die Anzahl der Versicherungsverträge an und, dass wir jährlich mehr als 2000 Euro dafür ausgeben, stellt sich die Frage: Sind wir überversichert?

Benda: Ja. In einigen Bereichen. Die Österreicher sind aber nicht ganz so überversichert wie die Deutschen, weil der Markt hier vor ein paar Jahren schon besser reguliert wurde. Dennoch gibt es oft überflüssige Policen.

STANDARD: Wo liegen wir falsch?

Benda: Wir haben in Summe zu viele Sachversicherungen, das persönliche Risiko wird zu wenig bedacht. Sachversicherungen sind im Vergleich preiswert und betreffen Güter, die man anfassen kann. Da ist die emotionale Bindung höher. Eigentlich ist es obskur, das Menschen ihr Auto höher absichern, als die eigene Familie oder die eigene Arbeitskraft oder Gesundheit. So passiert es aber.

STANDARD: Was braucht man denn wirklich für eine Absicherung?

Benda: Das weiß man halt immer erst am Ende des Lebens. Es gibt aber eine Grundstruktur, die man beachten kann. Das Erste sind die Pflichtversicherung wie Kfz oder Krankenkasse. Das Zweite sind die lebensbedrohlichen Risiken. Also Szenarien, die beim Eintritt jemanden ruinieren können – etwa der Verlust der Arbeitskraft. Oder die private Haftpflicht. Da kann es schnell zu Fällen kommen, die zu einem Finanzrisiko werden können. Habe ich dann noch Budget oder den Wunsch zu weiterer Absicherung, kann ich noch viele Dinge absichern, bis hin zu Produkten, die ich gänzlich infrage stellen würde, etwa die Hochzeitsreiserücktrittsversicherung.

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Wenn aus der Reise ins Hochzeitsglück nichts wird – auch dafür haben Versicherungen Angebote im Gepäck.
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STANDARD: Derzeit wird viel über Flüchtlinge gesprochen, es gibt immer wieder Terroranschläge. Sind das Themen, die Versicherungen bewusst aufnehmen, um ihre Produkte zu verkaufen?

Benda: Ja und Nein. Versicherungen greifen aktuelle Themen auf und wollen das versichern. Das ist streng genommen auch richtig, das ist deren Aufgabe. Man muss aber fragen, ob sie dabei nicht über das Ziel hinausschießen. Wenn es eine Versicherung gibt, die das Unfallrisiko aufgrund eines Terroranschlags mit einem Lkw versichert, gibt es sicher viele Leute, die das kaufen würden, weil es da jetzt Vorfälle gab. Ob so ein Produkt kalkulatorisch sinnvoll ist, sei aber dahingestellt.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt: "Der eine tut seriös, der andere ist serös." Den Vermittlern haftet immer auch ein wenig der Hauch der Abzocke an. Wie kann ich als Kunde hier unterscheiden?

Benda: Nicht alle Versicherungen bescheißen – das muss auch festgehalten werden. Es gibt große Probleme, klar. Aber in Summe machen die Versicherer eine gute Arbeit. Der Verbraucher sollte sich aber – ähnlich wie beim Autokauf – Dinge im Vorfeld überlegen.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Benda: Er muss sich fragen, wo er hingeht. Zu einem unabhängigen oder abhängigen Vermittler, der einer Gesellschaft verpflichtet ist. Ein freier Vermittler hat ein größeres Angebot. Dann stellt sich die Frage nach der Qualifikation. Der Versicherungsfachmann hat nur eine Mindestqualifikation und sollte meiner Meinung nach Kunden überhaupt nicht beraten dürfen. Dann sollte man sich überlegen, wie viel Geld man ausgeben und was man absichern will. Der Vermittler muss die Lösung für das verfügbare Budget finden.

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Hunde sind anfällig für Krankheiten. Probleme mit der Hüfte, Diabetes etc. Für den Besitzer kann das zu einer finanziellen Herausforderung werden.
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STANDARD: Es gibt auch Tricks mit denen Vermittler ihre Produkte an den Mann bringen ...

Benda: Ja klar. Es gibt zwei Grundmotivationen: Entweder möchte ich beim Kunden eine Begehrlichkeit für etwas wecken oder ihm Angst machen. Letzteres ist die häufiger verwendete Methode. Man nennt das auch mit dem Sargdeckel klappern oder Säbel rasseln. Ängste führen nachweislich dazu, dass Menschen nicht mehr rein rational entscheiden. Die Angst vernebelt den Blick auf das Wesentliche. Es ist nicht verwerflich, wenn der Vermittler fragt, ob der Hund abgesichert ist. Verwerflich wird es, wenn er Horrorszenarien malt, um einen Vertrag für den Hund zu verkaufen. Ich glaube, die Masse der Vermittler ist nicht böse, sondern blöd. Die plappern das Zeug nach, das man ihnen in Schulungen beibringt.

STANDARD: Sie haben während des Studiums begonnen, Versicherungen zu verkaufen und kritisieren heute das System. Warum?

Benda: Während des Studiums wurde ich von Versicherungen im Bereich Multi-Level-Marketing angesprochen, ob ich Lust hätte auf einen Nebenjob. So bin ich in das System gerutscht. Ich hab damals Mangels Expertise nicht glauben können, dass es ganze Heerscharen von Leuten gibt, die ungestraft lügen und Leute verarschen. Leider war es so. Nach zwei Jahren kam für mich die Wende. Irgendwann sitzt man bei einem Kunden, der Intellekt hat, und kann seine Fragen nicht beantworten. Da habe ich erkannt, dass in dem System etwas falsch läuft.

STANDARD: Trotzdem sind sie freier Vermittler geworden ...

Benda: Ja. Jetzt orientiere ich mich aber am Bedürfnis des Kunden und drangsaliere ihn nicht.

STANDARD: Haben Sie ihren "Opfern" wirklich Geld retourniert?

Benda: Ja, teils. Es gab Fälle, da habe ich Mist gebaut. Die habe ich ausgezahlt. Den letzten bekomme ich heuer noch hin. Der Klassiker war: Steuerfreien Altvertrag kündigen und nicht-steuerfreien Neuvertrag verkaufen mit schwachsinnigen Begründungen wie: Der hat bessere Fonds oder eine bessere Kostensstruktur. Wenn man jung und naiv ist und Menschen helfen will, glaubt man nicht, dass einem seine Vorgesetzten belügen.

STANDARD: Braucht es Regelungen, um den Markt seriöser zu machen?

Benda: Das ist ambivalent. Es gibt viele Vorschriften, aber es entscheiden in der Politik oft Leute, die von der Materie keine Ahnung haben. Die Dokumentation sollte einfacher und standardisiert werden. Festgelegte Standards wären wünschenswert.

STANDARD: Oft hört man, dass Assekuranzen letztlich nicht zahlen, selbst bei kleinen Beträgen. Sind die Verträge zum Nachteil der Kunden oder sind das dumm gelaufene Einzelfälle?

Benda: Weder noch. Ich behaupte, Versicherungen reglementieren in der Mehrzahl der Fälle gut und richtig, weil sie sich an Verträge halten. Kauft jemand einen guten Vertrag, bekommt er Fälle gut reglementiert, kauft er einen schlechten Vertrag, dann nicht. Versicherungen sind Korinthenkacker – wenn es im Vertrag steht, wird es bezahlt, wenn nicht, dann nicht und manchmal streitet man wegen der Auslegung. Die Masse der Schäden wird gut reguliert. Fakt ist aber, bei schlechten Erfahrungen reden die Leute zehn Mal so oft darüber, wie bei guten. (Bettina Pfluger, 17. April 2017)