Der gebürtige Venezolaner Alejandro Ghersi produziert als Arca multi-mediale Kunst im Zeichen von Maschinenmusik, Sex mit Robotern und verstörenden, erotisch aufgeladenen Videos.

Foto: Daniel Shea

Wien – Seinen Erfolg verdankt Alejandro Ghersi mit Sicherheit zwei anderen verhaltensauffälligen Beklopften des Pop. Wenn der 27-jährige Venezolaner unter seinem Künstlernamen Arca nicht Tracks für Kanye Wests 2013 erschienenes Monster Yeezus sowie Björks Vulnicura von 2015 produziert hätte, wäre er wohl ein im kleineren Rahmen der Popavantgarde für zwei, drei Alben lang gefeierter Fall für die Donaufestivals dieses Planeten geblieben.

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Der Mann aus Caracas genoss in jungen Jahren eine solide Klavierausbildung im klassischen Fach. Also nix mit: "Roll over Beethoven and tell Tchaikovsky the news". Und irgendwann als Teenager produzierte Alejandro Ghersi unter dem Pseudonym Nuuro auch, wie es heißt, "verträumten" Synthiepop, bei dem er auch sang. Diesen Sound kann man sich leicht vor Augen führen, wenn man daran denkt, dass die Depeche Modes ursprünglich für Leute gebaut wurden, deren Tanzstil nach einem hektischen Balanzieren auf der Slackline aussieht, während sie gleichzeitig ihre Schuhbänder kontrollieren und ihnen deshalb der Seitenscheitel ins Gesicht fällt.

Später ging er nach New York und studierte pflichtschuldig Kunst. Weiter ging es dann 2014 nach London, wo er seither mit seinem Freund, dem Multimediakünstler Jesse Kanda, zusammenarbeitet. Der gestaltet für Arca die, sagen wir, für Menschen mit einer heteronormativen Lebensausrichtung eher sehr verstörenden Videos und Bühnenshows. Arcas Musik hat sich im Zusammenspiel mit den Visuals allerdings auf den (Instrumental-)Alben Xen und Mutant zu einer ganz eigenen Klangwelt entwickelt.

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Schrille, klirrende, synthetische Musik erklingt da, gefertigt in einer Zukunft, in der die Maschinen die Herrschaft über den Planeten übernommen haben. Man kann sich Arcas Musik durchaus als eine auf MP3 komprimierte Sounddatei vorstellen, in der die Geräuschkulisse aus Terminator 2 zu dreiminütigen und in einer bizarren neuen Welt tanzbaren Informationseinheiten zusammengestanzt wurde. Allerdings haben sich leider die in der elektronischen Musik zum praktizierten Klischee entwickelten Fehler in die Systeme eingeschlichen.

Ständig wird hier in wechselnden Geschwindigkeiten und sich verzerrenden, knapp gehaltenen musikalischen Leitmotiven, die möglicherweise so gut wie jeden Plagiatsprozess verlieren würden, an den Grundfesten gezogen und gezerrt. Die Beats stolpern und hasten, überholen und lassen sich nach hinten hängen. Zischeln- den Kabelbrand und die Sterbe- geräusche eines an Tod durch Überarbeitung zugrunde gehenden Klappcomputers hört man ebenso wie den Klingelton, den man auf dem iPhone für Anrufe seiner Lieblingssexpuppe einprogrammiert hat. Ja, Schatz, ich komme gleich, ich muss mir nur noch meine Laufprothesen anziehen!

Horror in Stöckelschuhen

Zu Stöckelschuhen umgedeutete Prothesen, das Zerren und Ziehen an Bondagekleidung und verzerrte, deformierte Maschinenmusik werden mit kranken Kirchenliedmelodien behübscht, bevor kammermusikalische Intermezzi aus der Zeit von Arcas Unterweisung in das Gute, Wahre und Schöne wieder in blanken synthetischen Horror umkippen. Sie bestimmen auch das neue Album Arca. Allerdings schreibt Arca jetzt Songs und singt dazu sehr sanft und mit Kopfstimme in spanischer Muttersprache Devianztexte: "Tócame de primera vez / Mátame una y otra vez – Berühre mich das erste Mal / Töte mich wieder und wieder." Bei aller inhaltlichen Härte. Arca ist dieses Mal klanglich versöhnlicher und weniger sperrig als vielmehr gebrochen rhythm'n'bluesig im Stile von Beyoncé mit Reitpeitsche aufgestellt.

Ach so, ja: Hallo, Mama, bitte schau dir die Videos nicht an. Du versäumst echt überhaupt nichts! (Christian Schachinger, 13.4.2017)