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Die Mauern bröckeln, das Penionssystem ist nur für die heutigen Ruheständler gesichert, aber nicht für die Zukunft gerüstet. Weiterhin ist jede dritte Pension nicht durch Beiträge gedeckt.

Foto: EPA / Srdjan Suki

Der allgemeine Trend ist unstrittig – und war auch so erwartbar. Im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung hätten nämlich nicht nur Fachleute nicht überrascht sein dürfen: Wenn die Wirtschaft wieder anzieht und sich das Pensionsantrittsalter (selbst im Schneckentempo von zwei Monaten jährlich) nach oben bewegt, sind Mehr einnahmen und Minderausgaben für Pensionszuschüsse bei Privatpensionen selbstverständlich. Wir freuen uns alle mit dem Sozialminister.

Aber könnte er nicht, als angeblich realitätsnaher Gewerkschafter, leise redlich hinzufügen, dass rund 90 Prozent der Pensionsantritte vor dem 65. Lebensjahr und 70 bis 98 Prozent (bei unkündbaren Beamten) Ruhestand vor dem gesetzlichen Rentenalter vielleicht doch nicht ganz so leiwand – im Klartext: sicher nicht nachhaltig – und daher rasch änderungsbedürftig sind? Und übrigens von den öffentlichen Händen auch ziemlich leicht verändert werden könnten.

Strittig bleibt, was genau der derzeitige Trend bedeutet: Kann jetzt alles bleiben, wie es ist? Sind weitere Reformen überflüssig? Oder weiter unbestimmt vertagbar? Und sind sogar höhere Leistungen, etwa für Teilzeitbeschäftigte (Sozialminister Alois Stöger) oder bei der nächsten Pensionsanpassung (gesetzwidrige Forderung des SP-Pensionistenverbandes), möglich? Oder erfordert längerfristige Pensionssicherung weiter kleine, aber laufende Reformschritte?

Besorgnis statt Jubel

Denn gegenüber den minimalen Rückgängen von 1,2 und 0,8 Prozent zuletzt nur 2015 und 2016 stieg der Bundeszuschuss sogar für die Pensionsversicherung der Privatwirtschaft seit 2007 über 40 Prozent, der staatliche Pensionsaufwand insgesamt, einschließlich der Ruhegenüsse öffentlich Bediensteter, seit 2011 um acht Prozent. Allein bis 2021 wird im Bundesfinanzrahmen ein weiterer Anstieg von 30 (!) Prozent erwartet. Selbst wenn es dann doch "nur" 28 oder 29 Prozent würden, sollte das eher keinen Jubel, sondern Besorgnis auslösen.

Wenn die tatsächlichen Aus gaben unter den vorsichtshalber überdotierten Bevorschussungen durch das Finanzressort bleiben, ist das kein Erfolg, sondern Ausdruck behutsamer Budgetpolitik. Denn über die Nasenspitze der Legislaturperiode hinaus gedacht bleiben rasche Reformen unverzichtbar: vorab höhere Beschäftigung aller Altersgruppen, vor allem Jüngerer und Älterer. Starke Verringerung der Berufsunfähigkeit im Erwerbsalter – hier fehlen bisher jegliche messbaren Ziele.

Dazu gehörte ein flächendeckender Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge über Kollektivverträge, also Demokratisierung des derzeitigen Minderheitenprogramms Betriebspensionen, sowie ein Recht der Arbeitnehmer auf Entgeltumwandlung zu betrieblicher Altersvorsorge unabhängig vom Arbeitgeber. Weiters die Angleichung des vorsintflutlich unterschiedlichen Pensionsalters von Frauen vor 2034, und die automatische Einbeziehung weiterer Lebenserwartungszuwächse beim gesetzlichen Antrittsalter.

Österreich hat weiterhin eine der höchsten Ausgabenquoten für Pensionen weltweit (nach der Ukraine, bald vor den EU-Problemfällen Italien und Frankreich), keineswegs aber Spitzenpensionen für alle, sondern nur für wenige privilegierte Nutznießer opulenter (und strukturell korrupter) "Sonderpensionen" im staatlichen und staatsnahen Bereich. Das Pensionsalter liegt weiter deutlich unter dem OECD- und EU-Schnitt, das System ist nicht nachhaltig sicher. Es als "normal" anzusehen, dass schon heute jede dritte Pension nicht durch Beiträge gedeckt ist, ist uraltes, nicht zukunftsfähiges Denken.

Vorzeitige Neuwahlen wegen Pensionsstreits wird es – im Gegensatz zu 1995 und 2008, als zweimal die ÖVP (mehr) abgestraft wurde – 2017 oder 2018 wohl nicht geben. Aber ohne sehr sehr viel breiteren Minimalkonsens in dieser durchaus existenziellen Frage wird jede Koalition scheitern. Wer erinnert sich nicht mit Schrecken daran, wie im Jahre 2000 die Weigerung der Gewerkschaft, einen zwischen den damaligen Großparteien ausverhandelten Pensionskompromiss als Regierungsabkommen zu unterzeichnen, zu zwei Wahlperioden Schwarz-Blau führte?

Objektiv hat es die Sozialdemokratie in Österreich angesichts ihrer seit Jahrzehnten völlig verkorksten Vorgeschichte in Pensionsfragen viel schwerer als Konservative und Liberale: Wie sieht ein Plan A für Pensionen aus? Kann sich Kanzler Kern nicht nur für Frankreich, sondern auch zu Hause zwischen Lösungen der Malaise à la Hamon oder Mélenchon oder seinem sozialliberalen Favoriten Macron entscheiden?

Kanzler Kern hat höchste Erwartungen geweckt, indem er schon am ersten Tag im Amt mehr Sinnvolles sagte als sein Vorgänger in sieben Jahren. Ein Macher will und kann nur als solcher gewählt werden. Aber Wankelmütigkeit (oder Überschmäh) in Grundsatz- oder Überlebens fragen geht für Macher gar nicht: Bei Fragen wie Ceta, Flüchtlingsrelocation und Pensionen muss man genau wissen, was man will – und das Richtige wollen und tun.(Bernd Marin, 13.4.2017)