Da Vinci in Action. An den Greifarmen sind unterschiedliche Instrumente befestigt. Die Ärztin operiert nicht mehr direkt am Patienten selbst, sondern von einer Konsole aus.

Foto: Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien

Panik ist keine angesagt. Zumindest wenn es nach dem Institut für höhere Studien (IHS) geht: Nur jeder zehnte, nicht wie in einer aufsehenerregenden US-Studie prognostiziert, jeder zweite Job werde mittelfristig durch Digitalisierung und Automatisierung überflüssig. Als Entwarnung will das IHS-Chef Martin Kocher aber auch nicht verstanden wissen: Ja, es werde sich in der Arbeitswelt einiges verändern. Deswegen müssten Unternehmen ihre Mitarbeiter fit für die digitale Zukunft machen, die Politik sich darauf vorbereiten, Arbeitslose umzuschulen.

Nicht der Roboter oder wir – sondern wir und der Roboter also. Eine Branche, in der das besonders deutlich werden wird, ist das Gesundheitswesen: Gepflegt, behandelt, begleitet oder diagnostiziert werden muss dort auch in einer automatisierten Zukunft. Durch den demografischen Wandel möglicherweise mehr denn je: Die Lebenserwartung und das Durchschnittsalter steigen, mehr und mehr Menschen sind pflegebedürftig. Dazu kommt, dass auch die Gesunden immer gesundheitsbewusster werden, wie Umfragen deutlich machen.

Wer gebraucht wird

Wirtschaftsforscher, Zukunftsforscher und Arbeitsmarktexperten sind sich deswegen einig: Der Gesundheitssektor wird wachsen wie kaum ein anderer Bereich. Besonders begehrt sind offenbar Ärzte und verwandte Berufe auf akademischem Niveau, etwa akademische Krankenpflegefachkräfte – hier erwartet das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) bis 2020 ein Plus von insgesamt 8500 unselbstständig Beschäftigten (gerechnet ab 2013). Medizinische und pharmazeutische Fachberufe wie Medizintechniker oder pharmazeutisch-technische Assistenten würden um 6000 zulegen, Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte um 22.000. Für Betreuungsberufe wird ein Plus von 10.000 Arbeitsstellen – etwa als Pflegehelfer – prognostiziert.

Das Qualifikationsbarometer des AMS zeigt, dass aktuell besonders viele vakante Stellen für Ärztinnen und Ärzte sowie für Krankenpfleger und -pflegerinnen gemeldet sind: zuletzt 358 beziehungsweise 1061.

Mit Da Vinci im OP

Wie Mensch und Maschine im Gesundheitsbereich zusammenarbeiten, zeigt sich bereits seit Jahren: Technologien werden nicht mehr nur zur Datenspeicherung und Diagnose eingesetzt – sie sind längst wesentlicher Teil der Behandlung. Und das kann teilweise ziemlich futuristisch anmuten, wie beispielsweise im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien. Hier operieren Ärzte seit 2011 mit dem Roboter Da Vinci.

Er hat vier bewegliche Arme, die an einem Stativ über dem Patienten hängen. An ihnen sind verschiedene Operationsgeräte befestigt – Schere, Pinzette, Greifzange -, die in die Bauchdecke des Patienten eingeführt werden. Eine winzige Kamera filmt das Körperinnere. Die Prozedur funktioniert wie eine herkömmliche minimalinvasive Operation, auch genannt Schlüssellochtechnik. Mit einem Unterschied: Die Ärztin operiert nicht mehr am Patienten selbst, sondern über Joysticks von einer Konsole aus, die einige Meter entfernt steht. Sie navigiert sich durch den Körper des Patienten wie durch ein Computerspiel. Durch zwei Linsen sieht sie das Körperinnere in 3-D. Der angebliche Vorteil ist, dass sie dadurch viel präzisier arbeiten kann, da die Maschine etwaiges Zittern ausgleicht. Zwei bis drei Operationen pro Tag werden mit Da Vinci durchgeführt.

Ein giftgrüner Helfer

Ein anderer Roboter hilft im Wiener Haus der Barmherzigkeit aus, ist giftgrün, 1,75 Meter groß und hört auf den Namen Henry. Seit 2014 dreht er seine Runden – er soll Fluchtwege registrieren, bodennahe Hindernisse melden und Patienten, die sich verirrt haben, wiederfinden. Ein zwölf Gigabyte großer Arbeitsspeicher, Lasersensoren und zwei integrierte 3-D-Kameras sind die Technologie, die dahintersteckt. Henry trifft autonom Entscheidungen, passt sich an seine Umgebung an und fährt abends selbstständig zurück in die Aufladestation. Er kommt auch bei den Bewohnern des Hauses gut an. Dass derlei Technologien in Österreich den Bedarf an menschlichem Personal ersetzen werden, sei aber trotzdem unwahrscheinlich, sagt Christoph Gisinger, ärztlicher Leiter des Hauses der Barmherzigkeit.

In Ländern wie Japan, wo der Mangel an Pflegekräften bereits viel zu groß ist – bis 2020 rechnet man dort mit 400.000 fehlenden Fachkräften -, sieht das allerdings schon anders aus. Dort subventioniert der Staat bereits zwei Drittel aller Forschungsausgaben diesbezüglich, Spitäler und Pflegeeinrichtungen kaufen bereits fleißig die neuesten Produkte ein.

Und obwohl Krankenhausleiter Helmut Kern vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder ob der guten Erfahrungen mit Da Vinci daran denkt, einen weiteren anzuschaffen, ist auch er der Meinung, dass Technologien menschliche Arbeit nicht ersetzen, sondern nur ergänzen könnten. Da Vinci kostet bisher angeblich keinen Mitarbeiter den Arbeitsplatz: Assistiert er, brauche es trotzdem etwa gleich viel OP-Personal wie bei einer herkömmlichen minimalinvasiven Operation. Und im Kontakt mit Patienten seien ohnehin "immer noch Zuwendung, ein offenes Ohr, ein Blick in die Augen" nötig, sagt Kern.

Was entsteht

Neue technologische Möglichkeiten könnten laut dem Krankenhausleiter sogar für zusätzliche Jobs sorgen. So werde es vermehrt Medizintechniker brauchen, ebenso Spezialisten, die sich mit großen Datenmengen und deren Analyse auskennen.

Würden Gesundheitsdaten künftig besser vernetzt – was technisch bereits möglich, aber rechtlich noch problematisch ist, könnten Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte bei der Behandlung der Patienten stärker zusammenarbeiten, wie Kern sagt. So könnte gleich ein ganz neues Berufsbild entstehen, "nämlich in der Koordination verschiedenster Bereiche: der Krankenhäuser, Masseure, Physiotherapeuten und niedergelassenen Ärzte". Kern nennt diesen möglichen Zukunftsjob den "Patientenmanager". Weiter wachsen werde künftig auch der Bereich der mobilen Pflege, prognostiziert Helmut Kern, aber auch der private, "gesundheitsnahe" Bereich rund um Gesundheitsapps zeichne sich durch Weiterentwicklungen und gestiegene Relevanz aus. "Das sind nicht nur Freizeittools, die haben durchaus einen großen Nutzen", sagt der Krankenhausleiter.

Versicherungen haben dies natürlich längst erkannt und steigen teilweise selbst in diesen Markt ein. Also auch hier wieder notwendig: Spezialisten, die Daten unter anderem lesen und analysieren können.

Neue Disziplinen

Dass Fachleute aus Disziplinen wie der Informatik oder der IT zunehmend im Gesundheitsbereich gefragt sind, zeigen aber auch Start-ups in Bereichen wie der Biotechnologie sowie neueste Studienrichtungen, die Disziplinen aus Gesundheit und Technik verknüpfen.

An mehreren österreichischen Fachhochschulen kann man bereits einschlägig studieren, Angebote heißen beispielsweise "Medical Engineering" oder "Gesundheits- und Rehabilitationstechnik". Medizinische Informatik wird an der Technischen Uni und der Med-Uni Wien angeboten. Und wo noch keine so deutlichen Verbindungen bestehen, wird Studierenden nahegelegt, Programmieren oder andere Skills zu lernen. Ganz im Sinne davon, künftig "digital fit" für den Arbeitsmarkt zu sein. (Lisa Breit, Lara Hagen, 15.4.2017)