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Ein Demonstrant, eingehüllt in die venezolanische Flagge, inmitten von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei bei den Protesten gegen die Regierung in Caracas.

Foto: Foto: Reuters / Carlos Garcia Rawlins

Es sind unruhige Zeiten, die Lateinamerika bevorstehen. Die Ära der Stabilität, des Wachstums und der sozialen Fortschritte geht zu Ende. Und mit ihr wanken die linken Regierungen, die die vergangenen 15 Jahre geprägt haben.

Betroffen vom Wandel sind aber sowohl linke als auch auch rechte Regierungen: vom umstrittenen Präsidenten Nicolás Maduro in Venezuela oder der Quasi-Monarchie der Ortegas in Nicaragua bis zu den konservativen Präsidenten in Honduras und Paraguay und dem linken Evo Morales in Bolivien, die versuchen, die Verfassung zu ändern, um ihre Wiederwahl zu ermöglichen. Wie so oft in der Geschichte Lateinamerikas ist es der Zyklus der Rohstoffpreise, der politische Gezeiten mitbestimmt. Nach einem lange anhaltenden Aufschwung sind die Preise vor drei Jahren in den Keller gepurzelt.

Besonders Länder wie Venezuela, die den Boom nicht zur Industrialisierung und Diversifizierung ihrer Exporte genutzt haben, geraten jetzt in Schieflage. Aber dieser Tage zeigt sich, dass ihre Regierungen zunehmend auf Widerstand stoßen. In Venezuela reißen die Proteste gegen Maduro nicht ab, dabei wurden allein diese Woche fünf Demonstranten erschossen. Ob die Krise vorübergehend ist, wird sich weisen. Für viele Lateinamerikaner aber ist sie jetzt schon existenzbedrohend.

Umverteilung gestoppt

Für Millionen gab es in den vergangenen Jahren erstmals Wohnungsbau- und Sozialhilfeprogramme sowie Zugang zu Sozialversicherung, Krediten und Konsumgütern. Die Armut sank in 20 Jahren um 20 Prozentpunkte. In Brasilien und Argentinien, wo inzwischen konservativ-liberale Regierungen das Sagen haben, wurde im Zuge radikaler Sparprogramme vieles davon wieder rückgängig gemacht. Die Umverteilung von oben nach unten wurde gestoppt oder ins Gegenteil verkehrt. Der neu entstandenen Mittelschicht droht der soziale Abstieg.

Zur wirtschaftlichen Krise, die zwischen 2014 und 2015 die Armut nach Angaben der Uno wieder um einen Prozentpunkt hat ansteigen lassen, gesellt sich eine politische. Von Mexiko bis Feuerland ist die Korruption eine der Hauptsorgen der Bevölkerung. Die Guatemalteken brachten mithilfe der UN-Kommission gegen Straflosigkeit einen Präsidenten hinter Gitter. In Brasilien sind Dutzende Politiker und Wirtschaftsbosse Opfer der Antikorruptionsoffensive der Justiz geworden.

Selbst im notorisch korrupten Mexiko zwang die Zivilgesellschaft den widerstrebenden Kongress zur Verabschiedung einer Reihe von Antikorruptionsgesetzen. In Bolivien verlor Morales unerwartet eine Volksbefragung und im sonst so ruhigen Paraguay brannte zuletzt der Kongress aus Protest gegen allzu offensichtliche Wiederwahl-Mauscheleien.

Dekade des Rechtsstaates

So könnte die zweite Dekade des 21. Jahrhunderts jene des Rechtsstaates werden – wie die vorige die der sozialen Errungenschaften war und jene der 90er-Jahre die der Demokratisierung. In der doppelten Krise liegt aber auch die Gefahr eines autoritären Rückschlags. Das Vertrauen in Politiker ist in der Region auf einem Tiefststand. Das ebnet den Weg für einen Anti-Establishment-Diskurs selbst ernannter Vaterlandsretter. Und es leistet dem Autoritarismus mancher Präsidenten Vorschub, die sich um jeden Preis an der Macht festkrallen. (Sandra Weiss aus Puebla, 16.4.2017)