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Demonstration in Belfast.

Foto: REUTERS/Clodagh Kilcoyne

Den neunzehnten Jahrestag zu begehen ist generell eher unüblich. Insofern war es wenig verwunderlich, dass die Belfaster Innenstadt am Karfreitag keine Freudenfeiern zum Gedenken an jenen kalten Apriltag 1998 erlebte, an dem die damals wichtigsten Kontrahenten Nordirlands ihre Unterschriften unter den Vertrag setzten, der den knapp 30-jährigen Bürgerkrieg beendete. Stattdessen gingen die Bewohner der britischen Provinz in die Kirche oder genossen einfach nur den Feiertag – Normalität und die Abwesenheit politischer Gewalt ist schließlich das wichtigste Resultat des langwierigen Friedensprozesses, der vor 19 Jahren begonnen hatte.

Freilich gab es diesmal auch besonders wenig zu feiern. Nach zehn Jahren stabiler Regionalregierung durch eine große Koalition steckt Nordirland seit Jahresbeginn in einem politischen Vakuum. Die zweiten Parlamentswahlen binnen zehn Monaten haben daran nichts ändern können. Kurz vor den Feiertagen musste Londons Nordirland-Minister James Brokenshire zum zweiten Mal in Folge die Frist für eine Regierungsbildung verlängern, was eigentlich gesetzlich nicht vorgesehen ist.

Nach Ostern wird der Konservative das Unterhaus um neue Vollmachten bitten müssen, um für die Zukunft eine rechtliche Grundlage zu haben. Denn sollten sich die Kontrahenten der unionistischen Protestantenpartei DUP und der nationalistisch-katholischen Sinn Féin (SF) bis Anfang Mai immer noch nicht geeinigt haben, wird Brokenshire die 1,6 Millionen Nordiren wieder von London aus regieren. Schließlich sollen staatliche Angestellte ihre Gehälter bekommen und die Aufsicht über Polizei und Planungsämter muss ebenso ausgeübt werden – kurz gesagt, die Normalität eines funktionierenden Rechtsstaats muss aufrechterhalten werden.

Keine frohe Osterstimmung

London und mit Abstrichen auch die partnerschaftlich eingebundene Regierung der südirischen Republik in Dublin tragen einen Teil der Verantwortung dafür, dass im irischen Nordosten keine frohe Osterstimmung aufkommt. Allzu lang haben sie die Provinz sträflich vernachlässigt und zugesehen, wie dort die Einzelinteressen das Gemeinwohl an den Rand gedrängt haben. Den Vertretern jener Einzelinteressen fällt aber die Hauptlast zu bei der Aufgabe, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Da ist zunächst einmal die DUP-Chefin und vormalige Ministerpräsidentin Arlene Foster. Unter ihrer gut anderthalbjährigen Regentschaft hat die aus der Gefolgschaft eines fundamentalistischen Predigers hervorgegangene Protestantenpartei schwere Niederlagen an der Wahlurne erlitten. Vergangenen Juni schlugen die Nordiren Fosters Rat aus und stimmten mit 56-prozentiger Mehrheit für den Verbleib in der EU. Im März büßte die DUP zehn Mandate im Belfaster Regionalparlament Stormont ein; der Stimmenvorsprung vor SF ist so hauchdünn, dass deren Vorsitzender Gerry Adams und seine Belfaster Statthalterin Michelle O'Neill umso lautstarker die Gleichberechtigung einfordern.

Ob Foster aber zu partnerschaftlichem Verhalten und den dazu nötigen Kompromissen fähig ist? Im Wahlkampf gab es daran berechtigte Zweifel. Wie in der Republik im Süden solle nun auch im Norden das Gälische dem Englischen rechtlich gleichgestellt werden, forderte SF. Foster lehnte dies nicht nur brüsk ab. Sie brachte die Gemüter auch mit der sarkastischen Bemerkung in Wallung, die polnische Sprache sei viel wichtiger. Tatsächlich geben mehr Einwohner Nordirlands, nämlich 1,02 Prozent, Polnisch als ihre Hauptsprache an als Gälisch (0,24). Aber immerhin jede Zehnte gab bei der letzten Volkszählung 2011 "einige Kenntnisse" im Gälischen an. Zudem verkannte Fosters unsensible Äußerung die kulturelle Bedeutung, die gerade Nationalisten der traditionsreichen Sprache des alten Irland beimessen.

Streitpunkt Gälisch

Vor Brokenshires Verhandlungsunterbrechung hat Foster nun immerhin erklärt, sie wolle sich demnächst mit Gälisch-Enthusiasten zusammensetzen. Aus der DUP ist zu hören, statt eines Gälisch-Gesetzes könne man vielleicht ein breiter gefasstes Gesetz zum Schutz von Minderheitensprachen ins Auge fassen. Solche ersten Kompromissschritte sind willkommen.

Auf der anderen Seite sollte SF gezielt den Dialog mit Minister Brokenshire suchen, schließlich handelt dieser mit klarer Vollmacht von Premierministerin Theresa May und im Einvernehmen mit Dublin. Vor allem aber müssen die beiden nordirischen Spitzendamen, die bei der jeweils eigenen Gefolgschaft unter hohem Erfolgszwang stehen, zu substanziellen Verhandlungen bereit sein. Daran mangelt es bisher. Bei den kleineren Parteien ist von den "schlimmsten Verhandlungen" der vergangenen zwei Jahrzehnte die Rede. Bis zum 20. Jahrestag des wegweisenden Karfreitagsabkommens haben die Belfaster Politikerinnen viel Arbeit vor sich. (Sebastian Borger aus London, 14.4.2017)