Perugia – Perugia/Wien – Der Giftgasangriff auf Khan Sheikhun in Syrien am 4. April hat mindestens 80 Menschen das Leben gekostet, darunter auch Kinder. In der Berichterstattung müssten nun die Überlebenden in der Provinz Idlib, wo das Massaker stattfand, zu Wort kommen, sagt die bahrainische Menschenrechtsaktivistin Maryam Al-Khawaja im Interview für den STANDARD. Al-Khawaja verfolgt die Situation in Syrien genau. Sie ist dort geboren.

Im Syrien-Einsatz der USA geht es um vieles, am wenigsten aber um die Menschen, sagt die Aktivistin. "Immer dann, wenn Bomben fallen, geht es nicht um Menschenrechte. Es geht um Geld und es geht um Macht. Egal ob in Syrien, im Irak oder im Jemen."

Kritik übt sie auch an der Europäischen Union, die sich zwar Demokratie und Menschenrechte auf die Fahnen schreibe, "vor allem aber einen Kampf gegen Extremismus und Radikalisierung betreibt. Menschenrechte sind dabei sekundär."

Was vom Frühling blieb

Ob der Einsatz der USA, der auf den Giftgasangriff folgte, Auswirkungen auf die Flüchtlingsbewegung haben wird, sei noch nicht abschätzen, erklärte die Aktivistin im Interview beim Jouranlismusfestival in Perugia. "Das hängt davon ab, ob er einmalig ist."

Mit Besorgnis beobachtet Al-Khawaja die Situation im Nahen und Mittleren Osten. Die Zivilgesellschaft ist an ihren Grenzen angelangt. "Die Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft und NGOs in Bahrain wurden seit dem Arabischen Frühling komplett heruntergefahren", sagt Maryam Al-Khawaja. "Das war nicht immer so."

Maryam Al-Khawaja, Menschenrechtsaktivistin aus Bahrain.
derStandard.at

Die Meinungsfreiheit in Bahrain wird heute mit konventionellen und unkonventionellen Mitteln beschränkt. Konventionell sei es etwa, weiblichen Menschenrechtsaktivistinnen das Recht auf eine Geburtsurkunde für ihre Kinder zu nehmen. "Neuerdings wird aber auch über Social Media versucht, die Glaubwürdigkeit von Aktivisten zu untergraben."

Vom Arabischen Frühling sei in den meisten Ländern nicht viel übrig geblieben. Al-Khawaja weiß das. In Bahrain engagierte sie sich schon früh politisch und arbeitete mit Menschenrechtsorganisationen zusammen. Sie ist eine der bekanntesten Kritikerinnen der Autokratie in Bahrain und Präsidentin des Bahrain Center for Human Rights. Während der Proteste im Jahr 2011 nahm die heute 29jährige eine führende Rolle ein und war damit, wie sie selbst sagt, nur eine von vielen mutigen Frauen.

Drei Wochen im Gefängnis

Die Frauen haben schon immer eine aktive Rolle in den Aufständen und Revolutionen in der arabischen Welt eingenommen. Al-Khawaja: "Wann haben Frauen denn keine Opfer gebracht? Wann haben Frauen denn nicht gelitten? Ihre Geschichten werden nur nicht erzählt."

Al-Khawaja war drei Wochen in Haft – und ist wie die meisten Aktivisten stolz darauf, sagt sie. "Das zeigt uns, dass wir etwas richtig gemacht und die Regierung verärgert haben."

Al-Khawaja hat sich schon öfters mit der bahrainischen Führung angelegt – und kommt damit ganz nach ihrem Vater und ihrer Schwester, Abdulhadi und Zainab Al-Khawaja. Abdulhadi Al-Khawaja ist ein bekannter Menschenrechtsaktivist. Seit Jahren ist der politische Gefangene im Jaw-Gefängnis inhaftiert, etwa 30 km südlich von der Hauptstadt Manama. Seine Tochter Zainab wurde im vergangenen Jahr aus der Haft entlassen.

Preis der Meinungsfreiheit

Mittlerweile lebt Maryam Al-Khawaja wie ihre Schwester im Exil in Kopenhagen. Von dort aus bereist sie als Aktivistin die Welt. Die Welt, das sind jene Länder, die kein politisches Abkommen mit Bahrain haben und sie ausliefern könnten. Sie wurde unter anderem wegen Beamtenbeleidigung angeklagt und hat ein weiteres Jahr in Haft zu befürchte: "Ich wollte nicht gehen. Aber ich musste das Land verlassen. Mir stand wahrscheinlich auch Folter bevor."

Ans Aufhören gedacht hat Al-Khawaja oft. "Doch die Menschen vor Ort geben trotz allem ja auch nicht auf. Welchen Grund kann ich dann haben?" Ihr Antrieb? Die Überzeugung, das Richtige zu tun, sagt sie. (Daniela Prugger, 23.4.2017)

Hintergrund: Bahrain – der ungelöste Konflikt

  • Sechs Jahre ist der Ausbruch der Großproteste her – doch eine Lösung ist in Bahrain nicht in Sicht.
  • Im Februar 2011 begannen im 1,2-Millionen-Einwohner-Staat Proteste, die dem Arabischen Frühling zugeordnet wurden.
  • Sie hatten aber eine starke konfessionelle Komponente. 60 bis 70 Prozent der Bahrainer sind Schiiten, die politische und wirtschaftliche Benachteiligung durch die sunnitische Herrscherfamilie al-Khalifa bemängeln.
  • Die Herrscherfamilie ist mit Saudi-Arabien verbündet, das 2011 zur blutigen Niederschlagung der Proteste am Pearl Roundabout, einem Verkehrsknotenpunkt, Truppen beisteuerte. Damals gab es mindestens 93 Tote. Riad und Manama werfen dem Iran vor, hinter den Unruhen zu stehen.
  • Noch heute gibt es sporadisch Ausschreitungen. Zudem gab es einige Anschläge auf Sicherheitskräfte. Menschenrechtler werfen der Regierung Folter vor. Zuletzt gab es auch Hinrichtungen, die nach Sicht der Opposition politisch motiviert waren.
  • Bahrain, eine Insel im Persischen Golf, ist geopolitisch wichtig: So befindet sich dort etwa das Hauptquartier der fünften US-Flotte. (mesc, )