Bild nicht mehr verfügbar.

May sorgt für Turbulenzen.

Foto: REUTERS/Stefan Wermuth

Bild nicht mehr verfügbar.

Buhlen um die volle Unterstützung des Landes: die britische Premierministerin Theresa May kurz nach der Neuwahlankündigung an ihrem Amtssitz Downing Street Nr. 10.

Foto: AP / Alastair Grant

Die Briten bestimmen mit hoher Wahrscheinlichkeit am 8. Juni ein neues Unterhaus. Mit diesem Plan überraschte am Dienstag Premierministerin Theresa May die gerade erst aus den Osterferien zurückgekehrten Abgeordneten. Sie sei widerwillig zu dem Schluss gekommen, dass ihre konservative Regierung für die EU-Austrittsverhandlungen ein neues Mandat brauche, teilte die Regierungschefin in einer kurzen Erklärung vor ihrem Amtssitz in der Londoner Downing Street mit. "Unser Land braucht eine starke und stabile Führung." Schon heute, Mittwoch, soll das erst im Mai 2015 gewählte Parlament den Weg für den vorgezogenen Urnengang freimachen.

Premierministerin Theresa May kündigt Neuwahlen am 8. Juni an.
BLIGHTY TV

Seitdem sie im Gefolge des Brexit-Votums vergangenen Juli ins Amt gekommen war, hatte sich May stets gegen Spekulationen gewehrt, sie wolle ein eigenes Mandat gewinnen. Das Land brauche Stabilität und stetige Führung, nicht die Unsicherheit einer Neuwahl, lautete damals das Argument der 60-Jährigen.

Druck auf May

Im Lauf der vergangenen Wochen war aber der Druck aus den eigenen Reihen immer größer geworden, weil die Konservativen (44 Prozent) in den Umfragen um bis zu 21 Prozentpunkte vor der stärksten Oppositionspartei Labour lagen. Deren Vorsitzenden Jeremy Corbyn halten 14 Prozent der Briten für den besseren Premierminister, Mays Wert liegt bei 50 Prozent. Im britischen Mehrheitswahlrecht ist damit ein Erdrutschsieg programmiert. Während eines kurzen Wanderurlaubs mit ihrem Mann vergangene Woche in Wales entschied sich die Premierministerin zu dem Kurswechsel.

Während ihre Regierung "im nationalen Interesse" die richtigen Brexit-Entscheidungen getroffen habe, argumentierte May in ihrer siebenminütigen Ansprache, betrachte die Opposition die Politik als Spiel. Die Oppositionsparteien im Unterhaus sowie die nicht gewählten Mitglieder des Oberhauses wollten ihre Position bei den Austrittsverhandlungen untergraben. "Dies würde den Erfolg des Brexits gefährden."

Fünfmal kontrastierte die Konservative ihre "starke und stabile" Führungskraft mit der Schwäche ihres Kontrahenten Corbyn und mahnte nationale Geschlossenheit an: "Jede Stimme für die Konservativen macht mich stärker in den Verhandlungen mit Europa." Anders als ihre Vorgänger kann May nicht einfach die Queen um Auflösung des Parlaments bitten. Erst 2011 haben die damaligen konservativ-liberalen Koalitionspartner ein neues Gesetz beschlossen, das Premierministern diese Vollmacht entzieht.

Seither ist die Länge der Legislaturperiode auf fünf Jahre festgelegt. Das Unterhaus kann aber mit Zweidrittelmehrheit seine vorzeitige Selbstauflösung beschließen. Einen entsprechenden Antrag will May schon heute, Mittwoch, im Unterhaus einbringen.

Oppositionsführer Corbyn kündigte die Zustimmung seiner Fraktion zu den geplanten Neuwahlen an. Das Land habe nun die Chance, über das "gescheiterte Wirtschaftsprogramm der Regierung" abzustimmen. Tatsächlich haben die Konservativen seit ihrer Amtsübernahme unter David Cameron 2010 durch ein hartes Sparprogramm das Haushaltsdefizit abgebaut. Es wird aber in diesem Jahr noch immer hohe vier Prozent betragen. Das Nationale Gesundheitssystem (NHS), die staatlichen Schulen sowie die Polizei leiden unter immer neuen Einsparungen. Eine kürzlich erfolgte Steuererhöhung musste Finanzminister Philip Hammond binnen einer Woche wieder zurücknehmen.

Hoffnung auf weichen Brexit

Während Labour offenbar mit klassischen Themen wie Bildung und Gesundheit Wahlkampf machen will, nahmen Liberaldemokraten und schottische Nationalisten Mays Brexit-Herausforderung an. Der Urnengang sei die Chance, "den harten Brexit zu vermeiden", teilte der liberale Parteichef Tim Farron mit.

Der bei der Wahl vor zwei Jahren schwer gerupften Partei sagen die Umfragen deutliche Stimmengewinne voraus, die aber nicht unbedingt zusätzliche Mandate (derzeit neun) mit sich bringen. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei (SNP) verknüpfte Innen- und Europapolitik: Die Tories wollten das Vereinigte Königreich "nach rechts rücken, den harten Brexit und größere Sozialkürzungen durchsetzen".

Für die Schotten ist die Unterhauswahl im Juni bereits der fünfte Urnengang binnen drei Jahren, die Nordiren müssen zum vierten Mal binnen gut zwei Jahren ihre Stimmen abgeben. Beobachter wie Professor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität sprechen deshalb von einer Wahlmüdigkeit als möglichem Problem für die ambitionierten Pläne der Premierministerin. Zudem müsse May ihre derzeitige Mandatsmehrheit von 17 Abgeordneten deutlich, auf mehr als 100, ausweiten, um die Neuwahl zu rechtfertigen: "Sie geht ein hohes Risiko ein." (Sebastian Borger aus London, 18.4.2017)