Marlis Prinzing.

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Facebook, Google, Snapchat, Twitter und Co sind längst nicht mehr bloß Verteilkanäle, sondern sie übernehmen Rollen klassischer Medienhäuser auf dem Markt der Aufmerksamkeit und prägen zunehmend an deren Stelle den öffentlichen Diskurs. Das vom Forschungsinstitut Pew Center in Washington für die USA gezeichnete Bild kann auch als Trendaussage für den deutschsprachigen Raum gesehen werden: Fast jeder Zweite (44 Prozent der US-Bevölkerung) bezog 2016 seine News über Facebook; genauso hoch ist der Anteil jener, die Nachrichten zwar über soziale Medien und Websites beziehen, aber jeweils nicht sagen können, über welche – Jüngere noch seltener als ältere.

Diese Befunde spiegeln zwar auch den Bedarf an generell mehr Medienkompetenz wider, vor allem aber den dringenden Handlungsbedarf gegenüber Plattformen. Denn diese übernehmen zwar journalistische Aufgaben, entziehen sich aber bislang klassischen Medienhäusern vergleichbarer Regulierung und Selbstregulierung und weisen Verantwortung für Inhalte gerne von sich.

Getrieben von Algorithmen

Eine Studie des Tow Center an der Columbia-Universität New York schätzt die Folgen des Einflusses der "Platform Press" als vergleichbar einschneidend ein wie jene der Digitalisierung. Schlüssel für den Erfolg sind die Algorithmen. Sie sind so gestaltet, dass sie Inhalte bevorzugen, die gut ankommen und oft geteilt werden, auch wenn sie meist von eher niedriger Qualität oder Wichtigkeit sind. Die Algorithmen können zum Beispiel unterschiedliche Relevanz schlecht erkennen und Inhalte auch unabhängig von ihrer Bedeutung verbreiten.

Solche Automatismen bewirken, dass sich auch falsche oder verfälschte Inhalte rasch ausbreiten. Sie erzeugen also eine veröffentlichte Meinung aus Inhalten, die rasanter und breitgestreuter denn je kursieren – aber auf nicht transparente Weise. Das Publikum, kritisiert das Tow-Team, werde im Unklaren gelassen, wie dies geschieht, inwiefern sein Online-Verhalten gar manipuliert wird und welche Daten von ihm gesammelt und weiterverbreitet werden.

Etikettenschwindel von Facebook

Auf politischen Druck wird zwar reagiert, aber in einer Taktik des Herauswindens. Ein Beispiel, das John Hermann in der "New York Times" schildert, ist die Initiative von Facebook gegen Fake-News. Sie kann auch als Etikettenschwindel interpretiert werden, denn letztlich wird alles als Frage der Kennzeichnung abgetan: Falsche Versprechen über ein Produkt seien nur dann ein Problem, wenn sie als Anzeige gekennzeichnet sind, und Lügen nur, wenn sie als News markiert sind, sowie verschwörungstheoretische Videos nur dann, wenn User beleidigt werden – andernfalls sind sie als Äußerungen verifizierter User eingestuft.

Vor allem ist weiterhin ungeklärt, wer für die Folgen, die ein Algorithmus anrichtet, geradezustehen hat. Der Plattformbetreiber? Der Programmierer? Oder wer? Und wie? Sollte man z. B. Facebook verpflichten, Fake-News zu "flaggen", also Falschmeldungen als solche zu markieren sowie rasch zu löschen? Solche Plattformen – gegen deren Widerstände – zu journalistischen Medien erklären, auf Branchenkodizes verpflichten sowie ihnen branchenübliche Strukturen überstülpen wie etwa die Installation einer Chefredaktion? Plattformen durch die Politik regulieren?

Kampf gegen Windmühlen

Zivilgesellschaftliche Initiativen wie Hoaxmap oder Mimikama helfen, Gerüchte einzuordnen und zu zerstreuen. Die deutschen Grünen haben eine vierstellige Facebook-Gruppe, die das Netz nach Lügen über Politiker ihrer Partei durchforstet. All dies ist sinnvoll, wirkt aber wie ein Kampf gegen Windmühlen angesichts der Übermacht der Plattformen, die offensichtlich auf Zeit spielen.

Es ist höchste Zeit, dass Politik und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen. Die Diskussion in Deutschland rund um das im Kabinett kurz vor Ostern verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz war auch ein Tauziehen um überfällige Grundsatzklärungen, etwa zu den Grenzen der Meinungsfreiheit. Im Entwurf wurde den Plattformen mit bis zu 50 Millionen Euro Bußgeld gedroht, sollten sie offensichtlich rechtswidrige Inhalte nicht binnen 24 Stunden gelöscht haben. Das ist nun gestrichen. Bestehen blieb die Forderung, in Deutschland Ansprechpartner für Justiz und Betroffene zu stellen, damit Beschwerden nicht endlos unbeantwortet bleiben.

Digitalethik-Kompass

Die Diskussion zeigte damit auch, wie nützlich und überfällig ein Digitalethik-Kompass wäre für Orientierung bei Fragen etwa nach der Anonymität im Netz – und damit auch ein Digital-Rat. Er könnte sich als Selbstregulierungsorgan z. B. mit Grenzziehungen zwischen Öffentlich und Privat befassen, auch Expertenstelle sein für Beschwerden an die Plattformen und vor allem eine ständige Anlaufstelle für Fragen, bezogen auf die digitale Mediengesellschaft. (Marlis Prinzing, 19.4.2017)