Nicht der Grasfrosch ist grün, sondern der Wasserfrosch. Letzterer übernimmt die Basspartien im Froschkonzert, das ein Nationalpark- Ranger jährlich in Mecklenburg- Vorpommern organisiert.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Frank Hildebrand
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Windstille und eine klare, feuchtwarme Nacht: "Das sind für uns die besten Voraussetzungen", sagt Sebastian Krage, der Intendant einer ungewöhnlichen Musikreihe. Krage ist Ranger im Müritz-Nationalpark im Süden Mecklenburg-Vorpommerns und organisiert ein abendliches Open-Air-Festival bei Carpin. "Dann laufen unsere Sänger zur Hochform auf", frohlockt er. Das Konzert habe einen hohen künstlerischen Anspruch, doch die Sänger seien an diesem Tag gut bei Stimme. Davon hätte er sich bei der Generalprobe am Vorabend bereits überzeugen können.

Krage engagiert keine Interpreten aus Pop, Rock oder Klassik. Seine Stars sind Frösche, Kröten und Lurche. Ihren großen Auftritt haben sie alljährlich von April bis Juni, wenn sie auf Partnersuche gehen. Wasserfrösche übernehmen die Basspartien, den Bariton geben die Laubfrösche, den Tenor die Grasfrösche. Solisten sind die hupenden Rotbauchunken und die knurrenden Knoblauchkröten. Die Idee zu Froschkonzerten hatte der Ranger, der als Herpetologe auf Amphibien spezialisiert ist, bei der Froschzählung 2013. "Amphibien haben eine riesige Fangemeinde", meint er.

Jeder will eine Froschkönigin haben

In der Dämmerung nimmt Krage sein Publikum mit auf eine gut halbstündige Wanderung. Seine Bühne für das seltsame Spektakel befindet sich an einem von der Eiszeit geschaffenen Tümpel, einem sogenannten Soll- oder Toteisloch in der Feldberger Seenlandschaft, die zum Müritz-Nationalpark gehört. Wie ein Amphitheater steigt das Ufer, das an diesem Tag von ein paar Familien mit Kindern und einer Schulklasse aus Neubrandenburg bevölkert wird, sanft nach oben. An Tümpel wie diese kommen Braunfrösche wie Gras- und Moorfrosch, Grünfrösche wie Wasser-, Teich- und Laubfrosch, Rotbauchunken, Knoblauch- und Erdkröten zu Hunderten zum Balzen und Laichen. Dann geht der natürliche Trieb mit ihnen durch.

Wenn ein Frosch erst einmal begonnen hat, quaken bald auch alle anderen. Schließlich stehen sie im Wettbewerb. Jeder will der Tollste sein, jeder will eine Froschkönigin haben. Doch noch ist kein Ruf zu hören. Die Wasseroberfläche liegt ruhig, der Mond wirft sanftes Licht darauf. Dann ist der erste Laut zu vernehmen: "Uog, uog, uog" – ein Laubfrosch. Krage leuchtet mit der Taschenlampe aufs Wasser. "Könnt ihr die Augen sehen?", fragt er die aufgeregten Kinder. Schon quaken weitere.

Ohrenbetäubendes Trio

Der Experte lauscht, schätzt sie auf vierzig. "Wenn Laubfrösche wollen, schaffen sie 85 Dezibel – bis zur Schmerzgrenze, sie quaken alle gleichzeitig", sagt Krage. "Das ist ja wie in der Disko oder am Flughafen", meint ein Besucher. "Hup, hup", kommt es aus einer anderen Richtung. "Das ist die Rotbauchunke", identifiziert der Fachmann. Sie quake nicht, sie hupe, es sei leicht herauszuhören. "Sie ist kein Frosch, sondern eine Unke." Was für ein ohrenbetäubendes Trio!

Es gesellt sich das leise "Quak-quak" eines einzelnen Wasserfrosches dazu, ein knarrend monotones Geräusch, das nicht lange allein bleibt. "Sie fangen wie auf Kommando an und hören genauso auf", erklärt der Herpetologe. Krage klatscht in die Hände. Das animiert, gleich wird das konzertante Getöse lauter. "Sie kommunizieren", sagt Krage begeistert.

"Das ist Männersache"

"Und wer macht das Möp-möp?", fragt ein Zehnjähriger. Die Knoblauchkröte, sie knurre, erklärt der Herpetologe. "Und der Moorfrosch?", will ein Zwölfjähriger wissen. Der sei stimmlich etwas gehandicapt, antwortet ihm der Ranger. Dafür könne er herrlich blau anlaufen, das imponiere den Weibchen auch. "Zu wem gehört das Blup-blup-Geräusch?", fragt nun der musikalische Direktor die Kinder. "Keine Ahnung. Aber es klingt, als würde man einen Flaschenhals unter fließendes Wasser halten", sagt eines der Mädchen. "Frösche sind hässlich", befindet sie. Sie sei nur wegen ihrer Freundin, die das Konzert hören wolle, mitgekommen. "Das hier ist ohnehin Männersache", sagt einer der Buben, um die Mädchen zu sekkieren.

Bei der Konzertbühne wollen die Kinder dann alles Mögliche über die Tiere erfahren. Sie bekommen erzählt, dass es weltweit rund 5.500 Froschlurcharten gibt, aber nur 14 davon in Deutschland heimisch sind. Im Müritz-Nationalpark, der reich an Seen und Mooren ist, habe sich der Bestand in den letzten Jahren zwar erholt, so der Ranger, doch viele Arten sind durch den Chytridpilz stark gefährdet. Er gilt als Mitverursacher des Amphibiensterbens in vielen Gegenden der Welt. Auch die Zerschneidung der Landschaft durch Straßen, die Entwässerung der Moore und die intensive Landwirtschaft auf großen Ackerflächen bedrohen die Reptilien.

Saugnäpfe und Lungen

"Wie alt können die denn werden?", fragt jemand. "Die Erdkröte kann bis zu vierzig Jahre alt werden, eine Blindschleiche fünfzig", breitet der Herpetologe sein Wissen aus. Und übrigens sei der Wasserfrosch grün, nicht der Grasfrosch, der sei braun. Laubfrösche haben Saugnäpfe und können auf Bäume klettern. Gras- und Wasserfrösche haben zwar eine Lunge, aber keine Kiemen. Im Wasser würden sie ertrinken, sie können jedoch auf dem Boden eines Sees überwintern. Der Ochsenfrosch kann Ratten fressen. Alle sind beeindruckt.

Doch auch Frösche und Kröten sind kapriziöse Diven. Wenn sie nicht wollen, versucht Krage sie eben mit Klatschen oder anderen Hilfsmitteln zu animieren. Ein kleines Restrisiko für den Erfolg des Froschkonzertes bleibt aber. Denn das Ensemble vom Toteistümpel ist nicht fest angestellt und bekommt keine Gage. "Es singt aus Gründen, auf die wir keinen Einfluss haben", sagt der Intendant. Und eine Fernbedienung für die Natur habe er nicht. (Beate Schümann, X.4.2017)